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Spartanisch. Tagesspiegel-Autor Felix Hackenbruch, 24 Jahre, lebt seit einem Jahr aus Koffern.

© K. Kleist-Heinrich

Wohnungssuche in Berlin: Von Zimmer zu Zimmer

Ein Jahr, vier Bezirke, neun Wohnungen. Unser Autor zog nach Berlin und lebt seither zur Zwischenmiete. Wann kommt er an?

Durchgangszimmer, Bad in der Küche oder Klo im Hof. Auf dem Berliner Wohnungsmarkt gibt es nichts, was es nicht gibt. Besonders deutlich wird das beim Durchstöbern von WG-Inseraten im Internet. Da gibt es Angebote von „Hardcore-Veganern“, die keine tierische Produkte in ihrer Küche dulden, Nudisten-Wohngemeinschaften mit reinrassigem Schäferhund oder die rechte Hälfte eines 120 Zentimeter breiten Betts, die „ein offen Homosexueller“ aus „reinster Nächstenliebe“ möglichst mit einem männlichen Mitbewohner teilen wollte.

Seit einem Jahr lebe ich in Berlin und so lange ziehe ich bereits mit meinen zwei Koffern von einer Wohnung zur nächsten. Früher, so haben mir alteingesessene Berliner erzählt, sei man alle paar Monate umgezogen. Jedes Wochenende habe man bei einem Umzug geholfen, bis Ende der 1990er Jahre habe es immer noch irgendwo eine bessere Wohnungen für wenig Geld gegeben. Doch seit der Leerstand abgenommen hat, die Mieten explodieren und jährlich über 40.000 Neu-Berliner eine Bleibe suchen, sind Umzüge innerhalb von Berlin seltener geworden. Man klammert sich jetzt an das, was man hat.

So bunt die Stadt ist, so bunt waren auch meine Mitbewohner

Dass es schwierig sein würde, eine dauerhafte Wohnmöglichkeit zu finden, hatte ich schon gehört. Weil ich nicht wusste, wie lange ich in Berlin bleiben würde und weil das Geld manchmal knapp war, entschied ich mich für das kleinere Übel: die Suche nach Zimmern zur befristeten Untermiete. Irgendwer macht ja immer ein Praktikum in Hamburg oder muss mal für zwei Monate (oder drei Jahre) ins Ausland. Doch selbst bei diesen Angeboten den Zuschlag zu bekommen, war nicht immer leicht – und ich bin weiß und spreche deutsch. Für andere ist selbst eine Zwischenmietlösung im sonst so toleranten Berlin fast unmöglich.

Insgesamt neun Zimmer in unterschiedlichen Wohngemeinschaften habe ich in einem Jahr bewohnt, je dreimal in Schöneberg und in Wedding, zweimal in Neukölln und einmal in Kreuzberg. So bunt die Stadt ist, so bunt waren auch meine Mitbewohner: Schwul, schwarz, Schweizer, Barkeeper, Ärztin, Lehrer, Produzentin, Drehbuchautor, Juristin, Schneiderin. Ich habe mit ihnen zusammengelebt, wenn auch nur kurze Zeit. Wir haben Kühlschrank, Dusche und Nutella-Gläser geteilt.

Alle drei Minuten wird in Berlin eine Wohnung angeboten

Die meisten Wohnungen werden über die Internetplattform wg-gesucht.de angeboten. Nach eigenen Angaben ist die Seite mit jährlich 73 Millionen Besuchern das europaweit größte Portal zur Vermittlung von provisionsfreien WG- Zimmern und Mietwohnungen. Berlin ist dabei die beliebteste Stadt. Alle drei Minuten werden hier Angebote inseriert, 480 Stück am Tag. „Die typische Berliner-WG besteht aus zwei Berufstätigen und liegt im 2. Obergeschoss eines sanierten Altbaus in Neukölln“, sagt Unternehmenssprecherin Annegret Mülbaier. Im Durchschnitt koste ein Berliner WG-Zimmer 420 Euro.

Auch mit einer mexikanischen rothaarigen Vogelspinne wohnte unser Autor zusammen. Diese hier kommt aber aus Brasilien.
Auch mit einer mexikanischen rothaarigen Vogelspinne wohnte unser Autor zusammen. Diese hier kommt aber aus Brasilien.

© Kitty Kleist-Heinrich

Meine Zimmer waren fast immer etwas billiger. Einen richtigen Mietvertrag gab es aber nur einmal, meistens musste ich mich vor der Hausverwaltung verstecken und durfte direkt beim Einzug in Cash bezahlen. Vielleicht waren die Zimmer auch billiger, weil sie alle mindestens im vierten Stock lagen. Zum Glück lässt sich mein Zwei-Koffer-Hausstand so leicht transportieren.

In Berlin ist nicht nur die Anzahl der Inserate rekordverdächtig, auch die Menge der Bewerberanfragen ist beachtlich. Mit mehr als 35 Anfragen muss jeder Anbieter eines Zimmers rechnen. „Ein günstiges Angebot in einem beliebten Stadtteil kann aber auch mehrere hundert Anfragen erhalten“, sagt Annegret Mülbaier.

Mal gab es eine Vogelspinne, mal eine Cannabis-Pflanze

Der zweitgrößte Anbieter nach wg-gesucht.de ist vermutlich Facebook. Die größte Gruppe für Berlin hat fast 90.000 Mitglieder, Angebote erhalten innerhalb von Minuten hunderte Anfragen. Angesichts dieser großen Konkurrenz bemühen sich viele User gar nicht mehr um einzelne Wohnungen, sondern bieten sich als Suchende selbst an – oft samt vorteilhaftem Dekolleté-Foto oder einem Bild vom trainierten Bizeps. Der Bewerbungstext ist dann fast überflüssig.

Das eigentliche Abenteuer beginnt aber mit dem Einzug. Ich habe mit einem Kaninchen zusammengewohnt (freiwillig) und mit einer mexikanischen, rothaarigen Vogelspinne (freiwillig) sowie zwei Küchenmäusen (unfreiwillig). Mal gab es einen Putzplan, mal eine Putzuhr, mal herrschte einfach nur Anarchie. In einer Wohnung war ich für 38 Pflanzen und Kakteen verantwortlich, in einer anderen musste ich mich dagegen nur um eine einzelne Cannabis-Pflanze kümmern.

Entweder ließ sich die Klotür nicht richtig schließen oder die Abflussrohre waren den sanitären Anforderungen nicht gewachsen – Verstopfungen standen auf der Tagesordnung. Der Vorteil für den Zwischenmieter: Egal wie schlimm es kommt, man ist auch schnell wieder weg. Wenn es mal schön war, hieß es allerdings auch bald schon wieder „auf Wiedersehen.“

Nach einem Jahr und neun Wohnungen fällt meine Bilanz gespalten aus, denn das Nomaden-Dasein ist Türöffner und Türstopper zugleich. Ich habe viele Berliner, noch mehr Zugezogene und verschiedene Kieze kennengelernt, aber ich bin weder Mitglied eines Fußballvereins, noch eines Stammtischs geworden. So richtig heimisch fühle ich mich in Berlin nicht. Deshalb suche ich nun intensiv nach unbefristeten Wohnungen. Der Nomade möchte endlich sesshaft werden.

Bald muss unser Autor wieder ausziehen. Zusammen mit seiner Freundin sucht er jetzt nach einer unbefristeten Wohnung. Langzeit-Angebote bitte an berlin@tagesspiegel.de, Betreff „Felix“.

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