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Berlin: Wolfgang Kramer (Geb. 1956)

Spannend war es dort, und das allein zählte für ihn

Laptop und Smartphone brauchte er nicht, Stift und Telefon genügten. Hinzu kamen ein gutes Auge und ein enormes Gedächtnis. Was er einmal las oder sah, das vergaß er nicht. Zu seiner Verwunderung ging es anderen Menschen nicht so.

Für einen im Hintergrund wirkenden Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wirkte er eine Spur zu extravagant. Nicht dass er um jeden Preis auffallen wollte, er mochte einfach nur breitkrempige Hüte, Schals und robuste Lederbeutel. So kannte ihn in seinem Kiez um den Winterfeldplatz wohl jeder. Durch seine Arbeit beim Fernsehen war er nicht so bekannt, auch wenn seine Beiträge in großen politischen Magazinen liefen.

Beim „ZDF-Magazin“ in Mainz, unter Gerhard Löwenthal, hatte er angefangen. Löwenthal galt als das rechts-konservative West-Pendant zu Karl-Eduard von Schnitzler, dessen „Schwarzer Kanal“ im DDR-Fernsehen lief. Damals wurde im Studio noch exzessiv geraucht; Löwenthal bevorzugte Zigarre. Der Aschenbecher befand sich unten rechts in der Schublade des Moderatorenpultes. Den in Sozial- und Politikwissenschaften promovierten Wolfgang Kramer konnten Löwenthals beißende Attacken gegen die „Linksradikalen“ nicht schrecken, er fühlte sich schon lange nicht mehr als Student und somit auch nicht angesprochen.

Wenn ihn die deutsche Geschichte eines gelehrt hatte, dann dass Sein und Schein manchmal auf absurde und schmerzliche Weise ineinanderfallen. So lag für ihn, der im westfälischen Witten geboren war, das wahre Deutschland von jeher in der DDR – wohl bemerkt geografisch und geschichtlich, nicht politisch oder gar institutionell.

Als die Mauer fiel, fackelte er nicht lange und zog noch vor der Wiedervereinigung als neuer Leiter des Landesstudios Sachsen-Anhalt nach Magdeburg. Seine Frau und die neugeborene Tochter blieben in Berlin zurück. Er hatte eine hübsche Altbauwohnung, aber deshalb fand er Magdeburg noch lange nicht schön. Spannend war es dort, und das allein zählte für ihn.

An der deutschen Einheit hatte er nie Zweifel. Aber es störte ihn gewaltig, wenn jemand despektierlich über diejenigen sprach, denen die Wiedervereinigung nicht so viel Glück beschert hatte. Er hatte genügend Schicksale kennengelernt, um die Dinge einzuordnen. Hohles Gerede von Politikern für einen Beitrag zurechtzustutzen, machte ihm nichts aus. Doch die Stimmen derer zu kürzen, die stolz darauf waren, ihre Geschichte einmal dem Fernsehen erzählen zu können, schmerzte ihn. Erfolgsgeschichten wie die von der Rettung der Kösener Plüschtier-Manufaktur gab es auch. Eine Folge der Berichterstattung: der Plüsch-Tierpark in seiner Wohnung.

Nach fünf Jahren in Magdeburg kehrte er nach Berlin zurück. Zweimal hatte er seiner Frau einen Heiratsantrag gemacht und beide Male einen Korb erhalten. Als die Tochter zum Studieren nach Cambridge ging, war es so weit. Dort, wo sie sich kennengelernt hatten, er als junger Journalist, sie als Pressesprecherin der Alternativen Liste, hoch oben in der Austernbar des KaDeWe, hielt nun sie um seine Hand an.

Füreinander wollten sie da sein, auf immer, vor allem im Alter. Das Schicksal machte ihnen einen grausamen Strich durch die Rechnung. Ein Glioblastom wucherte in seinem Kopf. Zwei Operationen, Bestrahlungen, die Zeit rann hin, seine Sehkraft ließ nach, er erblindete fast.

Ihn plagten keine Anfälle, im Kopf war er klar. Er konnte verreisen, er konnte telefonieren, auch aus dem Rollstuhl heraus, das reichte, um an neue Geschichten zu gelangen. Bis zuletzt arbeitete er für die Redaktion. Manch einer wusste gar nicht, dass er todkrank war. Er haderte nicht mit seinem Schicksal, im Gegenteil. Mit Zuversicht begegnete er dem Tod, als sei der nur ein ungebetener Gast, der bald wieder geht.

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