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Berlin: Wolfgang Weinmann (Geb. 1934)

Ingenieur der Braukunst, Verleger und vor allem: Judoka

Es kann nützlich sein, ein paar Griffe zu beherrschen, wenn einem nachts jemand in böser Absicht entgegenkommt. Kampf- oder Verteidigungskünste können helfen. Aber statistisch gesehen geht von Feinstaub eine weit größere Gefahr für die Gesundheit aus als von tätlichen Übergriffen.

Wolfgang Weinmann, klug, belesen, Pfeife rauchend, Meister des achten Dan im Judo, Verleger und promovierter Ingenieur der Braukunst, hat nach eigener Auskunft nur zwei Mal in seinem Leben körperliche Gewalt angewandt. Einmal als Jugendlicher, noch bevor er mit dem Judo anfing. Das andere Mal, da trug er schon den schwarzen Gürtel und zog einen Betrunkenen von einer stark befahrenen Straße. Dabei wandte er einen wirkungsvollen Judo-Griff an.

„Judo“, das heißt so viel wie „sanfter Weg“. Wolfgang Weinmann kam damit als Vierzehnjähriger in einem Hinterzimmer des Polizeisportvereins Berlin zum ersten Mal in Kontakt. Er sei etwas „weich“ gewesen, heißt es, aber wahrscheinlich lockte ihn der Sport vor allem deshalb, weil er von den Alliierten nach dem Krieg verboten war. Gerungen und Gegner elegant über die Schulter geworfen hatte man in Deutschland schon im Kaiserreich.

Weinmann lernte die Kampfkunst bei zwei Berliner Koryphäen, von denen er behauptete, der eine sei Nazi gewesen, der andere Kommunist. Das ist bemerkenswert, weil man, um Judo betreiben zu können, einen Partner braucht und keinen Gegner. Ein ausgebildeter Judoka kann mit Leichtigkeit einem anderen den Arm brechen oder die Schulter auskugeln, aber genau das ist nicht Sinn und Zweck der Sache. Wolfgang Weinmann war überzeugter Pazifist.

Zunächst sah es danach aus, als strebte der Deutsche Hochschulmeister von 1962 eine Karriere als Geschäftsführer einer Milchmessgerätefirma an. Aber bereits während der Promotion im Anschluss an sein Ingenieursstudium wurde ihm klar, dass die Leidenschaft für den Sport größer war als die Lust auf einen großartig bezahlten Job, für den er seine Tage am Schreibtisch verbringen würde. „So dick wie während der Promotion war ich nie!“ Also schrieb und gestaltete er Bücher über seinen Sport und gründete eigens dafür einen Verlag. Für diese apokryphe Fachliteratur gab es in den siebziger Jahren durchaus einen Markt. Weinmann erschloss ihn sich, indem er sich auch um den Vertrieb selbst kümmerte. Er war ein ausgesprochen wandlungsfähiger Autodidakt.

Im alten Saab, vollgepackt mit Büchern, fuhr er quer durchs Land und belieferte auch kleinste Buchhandlungen mit seinem Spezialwissen. Zwei bis drei Interessenten für Judo, Karate, Taekwondo und Capoeira gab es in jedem Dorf und in jeder kleinen Stadt. Nebenbei kletterte er als Judo-Meister in den Dan-Rängen weiter nach oben.

In seinen Büchern machte er deutlich, dass das Erlernen der Techniken vor allem Fleiß und einen langen Atem erfordert. Es heißt „Kampfkunst“, entsprechend lange braucht man, sie zu erlernen. Um zu Perfektion und Unangreifbarkeit zu gelangen, muss man sich oft genug selbst besiegen und nach innen schauen. Erst dann wirken die Kräfte nach außen. Kampfkunst ist Lebenskunst.

Weinmann lehrte Judo an der Universität als eine Art von Privatdozent. Zumal er über die Jahre seine eigenen Vorstellungen davon entwickelte, in welche Richtung sich der Sport entwickeln sollte, um den Nachwuchs nicht immer mehr an die Ballsportarten zu verlieren. Allzu pingeligen Prüfern oder überambitionierten Schleifern riet er, auch mal fünfe gerade sein zu lassen. „Das Lachen beim Judo ist erwünscht!“, schrieb er. Und: „Judo lehren heißt nicht, Kinder zu tyrannisieren oder Anfänger zu demoralisieren, sondern Fairness und Rücksichtnahme vorzuleben.“

Als er starb, erinnerten sich viele ehemalige Schützlinge an den Meister und füllten die Kommentarspalten der Internetseiten von Judoverband und Universität mit wohlwollenden Erinnerungen. Seine Art des Umgangs, sein griffiger Humor hatten Spuren hinterlassen. Man muss sich diesen Kämpfer als glücklichen und absolut friedfertigen Menschen vorstellen.

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