zum Hauptinhalt
Was bleibt und was zerplatzt. Viele Menschen in Berlin befinden sich spirituell noch auf der Suche.

© dpa

Woran glauben die Berliner?: „Berlin ist eine Stadt der Suchenden“

Berlin ist ein Sammelsurium der Glaubensrichtungen - alles geht, nichts muss. Zwei Pfarrer der Landeskirche sprechen über einsame Experimentierer, Patchwork-Religionen und Fußball mit Imamen.

Christof Theilemann, Sie sind landeskirchlicher Pfarrer für Ökumene und Weltmission. Die Zahl der Austritte aus der evangelischen Kirche in Berlin im Jahr 2012 ist markant, über 7 566 gegenüber nur 870 Eintritten. Verlieren die Berliner ihren Glauben?

Christof Theilemann: Diese Stadt ist religiöser geprägt, als sie sich das manchmal eingesteht. Wir haben ja eine große Debatte zum Thema Migration und Islam. Die Statistiken zeigen aber, dass die Mehrzahl der Menschen, die kommen, einen christlichen Hintergrund hat.

Glaube ist Heimat, sagt man. Stimmt das hier?

Christof Theilemann: Viele der Migranten mit christlichem Hintergrund leben ihren Glauben hier stärker aus als so mancher deutsche Christ. Ich habe fast jede Woche drei bis vier Anfragen von Menschen aus Brasilien über Vietnam bis nach Ghana, die Räume für ihre Gemeinde anmieten wollen. Wir haben 180 fremdsprachige Gemeinden in Berlin. Ich glaube, die Vielfalt an Glaubensgemeinschaften wird in Berlin stark unterschätzt.

Umso mehr deuten die hohen Austrittszahlen aber darauf hin, dass sich viele Berliner von der christlichen Kirche abwenden. Herr Goetze, wo würden Sie als landeskirchlicher Pfarrer für interreligiösen Dialog die Ursachen hierfür sehen?

Andreas Goetze: Berlin ist eine Stadt der Suchenden. Eine Stadt mit Menschen, die auf dem Weg sind und nicht unbedingt wissen, wo ihr Weg hingeht. Sie probieren daher auch alles Mögliche aus, von Tarot über Horoskope bis zu irgendwelchen esoterischen Gruppierungen. Andere glauben nur noch, was sie mit eigenen Augen sehen. Wenn Fragen über Schuld, Leid oder den Tod aufkommen, hilft diese Diesseitigkeit aber nicht weiter.

Warum wenden sich dann Ihrer Meinung nach trotzdem so wenige auch neu den Kirchen zu?

Andreas Goetze: Das Individuum meint, es müsse sich sozusagen verselbständigen und kritisch sein gegenüber den Institutionen, Parteien, Gewerkschaften und eben auch gegenüber der Kirche. Damit schafft man jedoch nicht nur Individualität, sondern auch eine große Verunsicherung. Ich kann Entscheidungen jeden Tag anders treffen, habe im Gegenzug aber keine Orientierung mehr. Und die Suche nach Orientierung erlebe ich in dieser Stadt als eine riesengroße Frage.

Warum aber sollten nicht alternative Glaubensformen wie der Engelsglaube diese Orientierung bieten?

Andreas Goetze: Es gibt eine ganze Reihe von Glaubensweisen, die nicht selbstkritisch genug sind. Diese Glaubensweisen stellen nicht infrage. Ich kann narzisstisch bleiben. Ich bin nicht herausgefordert, meinen Weg infrage zu stellen. In der christlichen Religion muss ich mich Jesus Christus stellen. Das ist eine Herausforderung, die manchmal anstrengend ist.

Christof Theilemann (*1959, links) ist seit 2010 in der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Landespfarrer für Ökumene.
Christof Theilemann (*1959, links) ist seit 2010 in der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Landespfarrer für Ökumene.

© Privat

Wie beeinflusst Migration den Glauben in Berlin?

Andreas Goetze: Ich erlebe, dass besonders junge Leute beispielsweise gerne mal eine Moschee oder etwas vom Judentum kennenlernen wollen. Dann gibt es auch Gruppen aus Christen, Juden und Bahai, die miteinander unterwegs sind und sich wechselseitig befragen. Der eigene Glaube wird dadurch noch mal klarer und der Respekt vor dem anderen Glauben wächst.

Welche Chancen birgt die Religionsvielfalt noch?

Christof Theilemann: Ich kann in die griechisch-orthodoxe Kirche gehen oder mir die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft in Pankow anschauen. Einmal haben die muslimischen Stadtteilmütter für Christen eine Führung durch Neukölln gemacht, zu den Stolpersteinen. Sie haben sich mit den jüdischen Deportierten unterhalten. Das war sehr bewegend. Aber das ist nur ein kleiner Teil, der noch sehr entwicklungswürdig ist.

Andreas Goetze (*1964, links) ist seit 2012 landeskirchlicher Pfarrer für interreligiösen Dialog in Berlin.
Andreas Goetze (*1964, links) ist seit 2012 landeskirchlicher Pfarrer für interreligiösen Dialog in Berlin.

© Privat

Berlin gilt als kultureller Schmelztiegel. Müsste der interreligiöse Dialog hier nicht ein Selbstläufer sein?

Andreas Goetze: In Berlin kann ich sehr gut in meinem Kiez, meiner Straße, ganz für mich allein leben. Ich brauche den anderen eigentlich gar nicht. Die Milieus sind in anderen Städten kleiner, und es kommt daher häufiger zur Begegnung.

Wo harmonieren die Religionen in Berlin?

Andreas Goetze: Gerade im Bereich der Schulen gibt es viele solcher Begegnungen. Da tun sich zum Beispiel Religionslehrerinnen zusammen, um im christlichen sowie im islamischen Religionsunterricht Projekte gemeinsam umzusetzen.

Christof Theilemann: Wir spielen zum Beispiel mit den muslimischen Imamen Fußball. Manchmal spielen wir gemeinsam gegen andere Mannschaften. Aber auch wenn dabei Imame gegen Pfarrer spielen, klappt das trotzdem, weil wir alle nach den gleichen Regeln spielen.

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Journalistenschule Berlin. Weitere Beiträge zum Thema "So glaubt Berlin" finden Sie auf soglaubtberlin.de.

Jennifer Hinz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false