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Berlin: „Wowereit hat einen famosen Instinkt“

Kein Senator wurde so oft vom Regierungschef gescholten wie Thomas Flierl. Das hat mich geschützt, sagt er im Abschiedsinterview Jetzt verlässt Flierl sein Amt – auf Druck Wowereits, der die Kulturpolitik selbst übernimmt. Völlig falsch findet das der Geschasste

Bill Clinton hat gesagt, als Ex-Amtsinhaber spüre man eine Mischung aus Befreiung, weil man viele Pflichten nicht mehr hat, und Frustration, weil jetzt die wichtigen Entscheidungen ohne einen fallen. Was überwiegt bei Ihnen, Herr Flierl?

Ich teile diese ambivalente Gefühlslage. Es ist ein Stück Enttäuschung, Ernüchterung, andererseits spüre ich die Lust auf Neubestimmung. Darin steckt auch eine große Chance für mich, denn so eine Tätigkeit, wie ich sie ausgeübt habe, zehrt natürlich auch.

Die Opernstiftung, das Hauptwerk Ihrer Amtszeit, droht gerade zu implodieren.

Angesichts der Schließungsszenarien, die wir 2002 hatten, weiß die Öffentlichkeit, wie wertvoll die Stiftung ist. Ich glaube, mein Nachfolger wird das auch merken, wenn er die Sache erst einmal in Ruhe betrachtet. Wenn der Bund die Staatsoper nicht übernimmt, muss die Opernstiftung weiterentwickelt werden.

Das heißt, sobald Ihr Nachfolger – Klaus Wowereit – sich eingearbeitet hat, wird er sehen, dass die Stiftung alternativlos ist?

Ich bin sicher, dass viel mehr Stabilität in der Konstruktion liegt, als es heute den Anschein hat. Der Legitimationsentzug des Generaldirektors Schindhelm hatte eine verheerende Wirkung auf die interne Kommunikation. Durch das Rütteln am Gebäude ist eine Menge Lehm herausgefallen. Aber das hölzerne Gerüst steht noch. Es gibt einfach keine Alternative zur Opernstiftung. Ich glaube nicht, dass es gelingen wird, den Bund nach dem Urteil von Karlsruhe in die Trägerschaft der Staatsoper zu zwingen. Man kann auch nicht die Stiftung oder die Staatsoper als Geisel nehmen. Da ist eine Zivilisierung der politischen Auseinandersetzung notwendig. Alles andere scheint mir aussichtslos.

Was wünschen Sie Herrn Wowereit als Ihrem Nachfolger?

Dass er schnell das Gespräch mit den Kulturschaffenden der Stadt aufnimmt. Dass er Respekt erkennen lässt vor deren künstlerischen Leistungen. Und dass das Feld der Kulturpolitik nicht zum Gegenstand von Machtpolitik gemacht wird.

Respekt ist nicht gerade die Stärke von Wowereit, wenn wir Sie richtig verstehen …

Ich meine die Vermittlung dieses Respekts.

Andersherum gefragt: Klaus Wowereit meint, die Kultur könne man neben dem Amt des Regierenden Bürgermeisters mitverwalten. Ist das ein Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber der Kultur?

Ich nehme ihm ab, dass es der Machtarithmetik entspringt, dass Kultur zum Regierenden Bürgermeister gekommen ist. Aber strukturell ist das völlig falsch für die Kulturpolitik. Das Konstrukt von Kultursenator und Regierendem Bürgermeister in einer Person birgt viele Gefahren.

Zu viel Distanz aber wohl auch. Das Verhältnis zwischen Ihnen und Wowereit war nicht gerade von Harmonie geprägt.

Das erschien vor allem nach außen als gespannt. Nach innen war es viel ungetrübter. In der Sache hat er mich in vielen Punkten unterstützt. Manchmal war der Preis dafür, dass er mich vor anderen Leuten besonders kritisierte. Das sind ritualisierte Formen, die mir und meinen Anliegen sogar einen gewissen Schutz gaben.

Sie scheinen mit der strategischen Abwatschung, die Ihnen Wowereit gelegentlich verpasste, besser klargekommen zu sein, als es nach außen den Anschein hatte.

Mein Verfahren war, bestimmte Sachen so auf den Weg zu bringen, dass sie gar nicht abweisbar waren. Zum Beispiel am Checkpoint Charlie: Als Frau Hildebrandt vom Mauermuseum ihre Kreuze länger als vereinbart stehen lassen wollte, riefen Wowereit und Ingeborg Junge-Reyer nach dem Bagger. Ich hingegen habe das Mauerkonzept erarbeitet, das dann auch die SPD für sich angenommen hat. Bei der Opernstiftung lief das ähnlich. Da haben wir eine Lösung gefunden, in einer aussichtslosen Haushaltssituation durch strukturelle Innovation die Schließung einer Oper zu verhindern. Dazu musste und konnte auch Wowereit Ja sagen. Das ist eine Stärke von ihm: Ein Stück Abstand halten, schauen, was läuft – und sich dann auf die absehbare, dominante und in sich konsistente Position zu stellen.

Tiefpunkt ihrer Amtszeit war die Veranstaltung in Hohenschönhausen, bei der ehemalige Stasi-Funktionäre Opfer verhöhnten.

Da hätte ich mich klarer verhalten sollen. Aber es war auch eine lehrreiche Begegnung, weil ich in der DDR nie direkt mit der Stasi zu tun hatte – ich habe zwar eine Akte, fühle mich aber nicht als Opfer. Das war eine abgetrennte Welt für mich, die ich für erledigt gehalten habe. Ich war auf die Begegnung mit ihr nicht vorbereitet.

Diese Veranstaltung wurde als einer der Gründe genannt, wieso Sie dem neuen Wowereit-Senat nicht mehr angehören.

Das ist eine unzulässige Verknappung. Hier hat eine Logik meines Ausgrenzens als „nicht mehr ministrabel“ zugeschlagen. Das wird meiner Leistung und dem Spektrum an Themen und meiner eigenen Position zum eigentlichen Gegenstand der Auseinandersetzung nicht gerecht.

Sie haben mal gesagt, das politische System hält Intellektuelle wie Sie nur eine Legislaturperiode aus. Was zeichnet Politiker aus, die sich länger halten?

Zum einen die mögliche Ferne zu den Gegenständen, um die es geht. Das Ressort-Hopping ist bei einigen sehr beeindruckend. Dennoch hat, wer sich behauptet, offenkundig Qualitäten, die mit Kommunikation, Selbstdarstellung und dem Bewusstsein davon zu tun haben, was zur Reproduktion ihrer Machtbasis wesentlich ist. Ein Intellektueller muss immer differenzieren, problematisieren und provokante Synthesen formulieren.

Haben Sie in den fünf Jahren, die Sie in Klaus Wowereits Senat gesessen haben, auch eine Typologie entwickelt, was ihn als Politiker auszeichnet?

Er hat einen famosen politischen Instinkt und eine bestechende Fähigkeit, in kleinen Gruppen wie dem Senat oder der Fraktion die unterschiedlichen Positionen aufzunehmen und seine Position durchzusetzen. Auch wenn vorher nicht immer klar ist, was seine Position ist, aber er setzt sich durch. Das ist die Definition des Politikers: Es geht um Machterhalt. Und er kann sehr klar überblicken, mit wem er wie kommuniziert.

Zuletzt hat er dennoch viel Kritik dafür eingesteckt, wie er auf das Karlsruhe-Urteil reagiert hat und wie er sich im Opernstreit dem Bund gegenüber verhält. Zu Recht?

Was Karlsruhe angeht, haben er und die Koalition sich völlig richtig verhalten. Die Opernstiftung ist jedoch das falsche Objekt, Zorn über Karlsruhe abzulassen.

Wowereit wurde zuletzt als starrsinniger Trotzkopf wahrgenommen, der der Sache Berlins im Bund schadet.

Das ist ein gefährlicher Punkt in der Politik. Wenn man da angelangt ist, hat man zwei Möglichkeiten: Man geht einen Schritt zurück und liefert sich wieder der Sache aus, oder man geht zwei Schritte vor und versucht, Macht mit Angstreduktion zu verbinden. Meine Wendeerfahrung besagt: Macht, allein auf ihren Erhalt fixiert, geht verloren.

Sie sind jetzt nach Ihrem Ausscheiden als Kultursenator einfaches Mitglied des Abgeordnetenhauses. Wird Sie das ausfüllen?

Neben der Parlamentsarbeit werde ich mich in der Rosa-Luxemburg-Stiftung engagieren. Ich will vor allem stärker reflektierend und publizistisch arbeiten.

Von Politikern mit vielen Terminen und eigenem Fahrer heißt es, dass sie nach ihrem Ausscheiden weiter im Auto hinten einsteigen und sich wundern, dass keiner losfährt. Wird Ihnen das auch so gehen?

Ich fahre nicht nur gern selbst Auto, sondern habe manchmal auch meinen Fahrer chauffiert. Bei Abendterminen mit langen Wartezeiten fand ich das sinnlos verschwendete Lebensstunden, wenn er gewartet hätte. Also habe ich ihn an der nächst günstigen Haltestelle abgesetzt, fuhr selbst mit den Dienstwagen zum Termin und später nach Hause.

Das Gespräch führten Frederik Hanssen und Lars von Törne

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