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Vor der Aussperrung. Schüler der jüdischen Adass-Jisroel-Schule um 1937/38 am Nilpferd-Becken. Ab 1939 war Juden der Besuch des Zoos verboten.

© Abraham Pisarek

Würdigung: Späte Ehrung für jüdische Zoo-Aktionäre

In der Nazi-Zeit wurden Berliner gezwungen, ihre Anteile zu verkaufen. Jahrzehntelang wurde über dieses dunkle Kapitel nicht gesprochen. Eine Tafel soll nun daran erinnern.

Ob er es noch einmal schafft, den Berliner Zoo zu besuchen? Als Kind stand er fast täglich am Seelöwengehege. Heute ist Werner Cohn 84 Jahre alt. Der lange Flug von New York wäre eine Strapaze. Auch die Verbitterung trübt seine Unternehmungslust. Werner Cohn kämpft seit Jahrzehnten um eine angemessene Würdigung der ehemaligen jüdischen Zoo-Aktionäre.

Der Vater von Werner Cohn besaß eine der begehrten Zoo-Aktien, mit denen damals wie heute das Privileg des freien Eintritts verbunden ist. Bis zum Machtantritt der Nazis sollen rund ein Drittel der 4000 Aktienbesitzer jüdischen Glaubens gewesen sein. Durch die Diskriminierung und Verfolgung verloren viele ihre wirtschaftliche Basis und wurden so gezwungen, ihre Zoo-Aktien zu verkaufen. Nach der Pogromnacht von 1938 erhöhte sich der öffentliche Druck. Auch die Zoo-Direktoren und nicht-jüdischen Aktionäre billigten die antijüdische Hetze. Der Zoo kaufte viele Aktien günstig auf, um ihre „Arisierung“ zu gewährleisten, und machte dabei ein gutes Geschäft.

Davon ist auf den Internetseiten des Zoos bis heute nichts zu lesen. Jahrzehntelang wurde über dieses dunkle Kapitel nicht gesprochen. Werner Cohn, dessen Vater sich nach der Emigration erschoss, versuchte vergeblich, den Zoo zu einer Anerkennung seiner Mitschuld und einer Wiedergutmachung zu bewegen. Im Jahr 2000 erhielt Cohn einen Brief vom Rechtsanwalt des Zoos. Darin heißt es, bei der Übertragung der Aktie seines Vaters sei „weder Druck noch Zwang noch Nötigung“ ausgeübt worden.

Darüber berichteten Zeitungen in Berlin und New York. Die Artikel fielen für den Zoo beschämend aus. Der damalige Direktor Hans-Peter Czupalla entschied sich schließlich, eine Studie zur Aufarbeitung der Nazizeit im Zoo in Auftrag zu geben. Dadurch kamen unrühmliche Details ans Licht. „Seit November 1938 ist die Luft bei uns noch reiner geworden als zuvor“, erklärte beispielsweise Zoodirektor Ammon. 1939 wurde Juden der ZooBesuch gänzlich untersagt.

Nach der Veröffentlichung der Studie 2002 reagierten Zooleitung und Aktionärsvertreter erschrocken. Czupalla lud die Nachfahren der jüdischen Aktionäre ein, den Zoo zu besuchen, und der Aufsichtsrat dachte öffentlich über eine Gedenktafel nach. Danach geschah nichts mehr. Die Studie sollte eigentlich durch einen weiteren Forschungsauftrag vertieft werden, aber dafür wollte der Zoo kein Geld mehr ausgeben.

Czupalla ging in den Ruhestand, und die Würdigung der vertriebenen Aktionäre geriet in Vergessenheit. Bis der Förderverein „Berliner Zoofreunde“ im vergangenen Herbst eher zufällig auf Werner Cohn und seine vergeblichen Bemühungen stieß. Die Zoofreunde schlugen vor, auf ihre Kosten eine Gedenktafel anzufertigen. Zoodirektorin Gabriele Thöne, seit 2008 im Amt, war sofort alarmiert. Über die Versäumnisse ihrer Vorgänger möchte sie nicht sprechen, aber sie „bedaure zutiefst“, wie der Zoo mit seinen jüdischen Aktionären in der NS-Zeit umgegangen sei. Das müsse jetzt genau untersucht werden, mithilfe des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU und dem Centrum Judaicum. Die Idee einer Gedenktafel hat sich der Zoo zu eigen gemacht. Dass eine Tafel aufgestellt wird, bestätigte jetzt die Senatsfinanzverwaltung auf eine Anfrage der CDU.

Werner Cohn dürfte damit noch nicht zufrieden sein. Er hatte vor zehn Jahren eine Summe von 30 Millionen Dollar gefordert, um die materiellen Verluste der jüdischen Aktionäre auszugleichen. Inzwischen ist der emeritierte Soziologieprofessor milder gestimmt. Er möchte, dass der Zoo seine moralische Verantwortung bekundet und mindestens eine Million Dollar an einen Zoo in Israel überweist.

Direktorin Thöne sagt, sie wolle mit Cohn Kontakt aufnehmen, aber erst mal die Ergebnisse der neuen Forschungen abwarten. „Die Frage der Entschädigung stellt sich zu diesem Zeitpunkt nicht.“

Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, wundert sich nicht, dass der Zoo seine braune Vergangenheit so lange unter den Tisch gekehrt hat. „Die Zahnärzte sind auch erst 2008 auf die Idee gekommen, ihre NS-Geschichte aufzuarbeiten.“ Die Scham, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, sei weit verbreitet. Als Geste gegenüber den jüdischen Aktionären könnte sich Benz die Einladung der Nachfahren zu einem Ehrenabend im Zoo vorstellen. Als ersten Schritt.

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