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Berlin: Zahlungsmoral: Der Gerichtsvollzieher lässt auf sich warten - Beamte überlastet - Neues Recht wirkungslos

An lange Wartezeiten bei der Justiz ist der Charlottenburger Steuerberater Robert Paul gewöhnt. Doch der Brief, den er jetzt von einem Spandauer Gerichtsvollzieher erhielt, war für ihn der Gipfel.

An lange Wartezeiten bei der Justiz ist der Charlottenburger Steuerberater Robert Paul gewöhnt. Doch der Brief, den er jetzt von einem Spandauer Gerichtsvollzieher erhielt, war für ihn der Gipfel. Wegen eines Rückstandes von rund 1200 Fällen sei die Bearbeitung eines Antrages auf Zwangsvollstreckung frühestens in zehn bis zwölf Monaten möglich, teilte der gestresste Beamte mit. Dass der Mann mit dem "Kuckuck" immer länger auf sich warten lässt, ist für Paul in einer Zeit ohnehin schlechter Zahlungsmoral "geradezu eine Aufforderung an die Schuldner, offene Forderungen nicht auszugleichen".

Der Vorgang ist kein Einzelfall, sondern symptomatisch für die Situation der Gerichtsvollzieher. Seit Anfang 1999 auch für die landläufig Offenbarungseid genannten, eidesstattlichen Versicherungen zuständig, müssen sie erhebliche Mehrarbeit ohne personelle Verstärkung bewältigen. Nach ihrer Geschäftsanweisung sind die Beamten verpflichtet, "schnell und nachdrücklich" zu handeln. Kann die erste Vollstreckung nicht binnen eines Monats erfolgen, sind die Gründe für die Verzögerung aktenkundig zu machen. Das ist längst der Normalfall.

Im vergangenen Jahr hatten die rund 250 Berliner Gerichtsvollzieher neben etwa 577 000 Zwangsvollstreckungen, 136 000 persönlichen und 200 000 postalischen Zustellungen auch noch knapp 180 000 eidesstattliche Versicherungen zu bearbeiten. Pro Person sind das weit über 4000 Vorgänge. Dabei gilt ein Mitarbeiter bereits mit 2000 Zwangsvollstreckungen als ausgelastet, berichtet Harry Fuhrmann, in der Präsidialverwaltung der Amtsgerichte für die Gerichtsvollzieher zuständig. Lag die durchschnittliche Arbeitsbelastung 1998 bereits beim 1,3fachen des Normalpensums, ist sie 1999 auf das 1,8fache gestiegen.

Auf sechs Monate haben sich laut Direktor Manfred Wolf die Bearbeitungsfristen beim Amtsgericht Tempelhof/Kreuzberg eingependelt. Von einer "deutlichen Überlastung" spricht auch sein Amtskollege aus Pankow/Weißensee. "Es gibt keinen Gerichtsvollzieher, der sich noch ein Wochenende leisten kann", sagt Peter Frohn, Direktor des Amtsgerichtes Schöneberg. Besonders den älteren Kollegen mache der Stress gesundheitlich zu schaffen. Wer krank werde, habe Pech, da sich mangels Vertretung die eingehenden Fälle bis zur Rückkehr weiter auf dem Schreibtisch stapeln. In Spandau, so Sachbearbeiterin Eva Heuer, gibt es wegen dreier Langzeitausfälle zusätzliche Engpässe. Nur Eilfälle werden überall vorgezogen.

Ursache der Misere ist, dass das neue Insolvenzrecht nicht so angenommen wurde wie erwartet. Der Gesetzgeber hatte angenommen, dass eine Vielzahl von privaten Schuldnern die neue Möglichkeit nutzt, bei der ein Treuhänder über sieben Jahre im Rahmen der pfändbaren Einkünfte für den Interessensausgleich aller Gläubiger sorgt. Vollstreckungsmaßnahmen sind während dieser Zeit nicht möglich, die Restschuld kann dem Betroffenen anschließend erlassen werden. Die nicht durch die Prozesskostenhilfe abgedeckten Gerichtsgebühren und Angst vor der langen Verfahrensdauer lassen jedoch viele Schuldner vor diesem Weg zurückschrecken. So blieb auch der erwartete, deutliche Rückgang der Zwangsvollstreckungen aus, der die Mehrarbeit der Gerichtsvollzieher ausgleichen sollte.

Längst ist das Problem erkannt, doch die Abhilfe braucht Zeit. 16 Justizbeamte des mittleren Dienstes befinden sich in der 18monatigen Zusatzausbildung und sollen ab September die ersten Lücken schließen. Im Februar begann ein weiterer Kurs für 20 Gerichtsvollzieher, ein dritter soll in Kürze folgen. Für den Präsidenten der Berliner Rechtsanwaltskammer, Kay Pohl, ein Tropfen auf den heißen Stein. "Ich fürchte, dass auch die neu geschaffenen Stellen nicht ausreichen".

Rainer W. During

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