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Zahlungsunfähigkeit: Jüdische Gemeinde steht vor dem finanziellen Ruin

Nach einer Austrittswelle fehlen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin solvente Mitglieder - es droht die Zahlungsunfähigkeit. In diesem Fall wäre eine Zwangsverwaltung durch den Senat möglich.

„Wir haben ein sehr großes Problem“, sagt Finanzdezernent Jochen Palenker. „Würden wir so weitermachen wie bisher, wäre das der direkte Weg in die Insolvenz.“ Dann drohe die Zwangsverwaltung durch den Senat. Auch wurde seit fünf Jahren keine Bilanz mehr verabschiedet. Dies ist das vorläufige Ergebnis eines Kassensturzes, den die neue Gemeindeführung unter der Vorsitzenden Lala Süsskind im vergangenen halben Jahr durchgeführt hat. Ein endgültiges Ergebnis liege noch nicht vor, man sei immer noch dabei, Wirtschaftspläne und Bilanzen zu sichten.

Grund für die Finanzkrise sind sinkende Steuereinnahmen und ein strukturelles Defizit von mindestens zwei Millionen Euro. Rund 25 Millionen Einnahmen stehen rund 27 Millionen Euro Ausgaben pro Jahr gegenüber. Die Mitglieder der Gemeinde zahlen ähnlich wie die Mitglieder der Kirchen Gemeindesteuern. In der vergangenen Legislaturperiode seien die Steuereinnahmen um ein Drittel auf eine Million Euro zurückgegangen, sagt Palenker. Allein die jährlichen Rücklagen für die Rentenansprüche der Mitarbeiter würden 650 000 bis 700 000 Euro verschlingen. In zehn Jahren wären es jährlich 1,2 Millionen Euro, die für Rückstellungen aufgebracht werden müssten. Dass das Steueraufkommen gesunken sei, liege auch daran, dass etliche gerade der finanzkräftigen Mitglieder ausgetreten seien, weil sie von den andauernden Querelen in der Gemeinde genug hatten, sagt die Gemeindevorsitzende Lala Süsskind. Man bemühe sich nun, die Ausgetretenen zum Wiedereintritt zu bewegen.

Der größte Posten im Haushalt seien die Personalkosten. Die Jüdische Gemeinde Berlin beschäftigt 400 Mitarbeiter, dazu zählen auch Lehrer und Erzieher. Das Defizit aus Schulen und Kita betrage eine Million Euro. Um gegenzusteuern, hat der Gemeindevorstand nun das Schulgeld und den elterlichen Beitrag für den Schulbus erhöht. Statt 56 Euro zahlen einkommensschwache Eltern nun 75 Euro im Monat für die jüdische Privatschule. Statt 40 Euro kostet der Schulbus nun 95 Euro. Auch holt der Bus nicht mehr jeden Schüler zu Hause ab, sondern fährt nur noch bestimmte Treffpunkte an.

Einige Familien hätten ihre Kinder nun aus der Grundschule abgemeldet, sagt Lala Süsskind. „Das ist bitter. Aber was sollen wir machen? Wir können die Gemeinde doch nicht sehenden Auges weiter ins Verderben stürzen.“

Auch sei man dabei, die Versorgungsordnung zu ändern und die Rentenansprüche zu deckeln. Der Senat hatte schon vergangenes Jahr moniert, dass die Gemeinde über Jahre früheren Mitarbeitern zu hohe Renten gezahlt habe – zum Großteil mit Mitteln des Landes Berlin – und fordert 500 000 Euro zurück. „Das Finanzwesen der Gemeinde muss völlig umstrukturiert werden“, sagt Jochen Palenker. Der jetzige Geschäftsführer, ein Mitarbeiter der Finanzverwaltung, der seit zwei Jahren vom Senat für die Arbeit in der Jüdischen Gemeinde freigestellt wird, könne den Umbau alleine nicht schultern. Auch brauche es ein professionelles Controlling-System. Deshalb soll ein weiterer Geschäftsführer eingestellt werden. Überdies soll der Gemeindevorstand künftig nur noch als eine Art Aufsichtsrat fungieren, der die Gemeinde politisch vertrete. „Wir arbeiten alle ehrenamtlich, wir können nicht das operative Geschäft erledigen“, sagt Palenker.

Die Jüdische Gemeinde ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und erhält Zuschüsse vom Land Berlin. In regelmäßigen Abständen kontrolliert die für Religionsgemeinschaften zuständige Senatsverwaltung für Kultur die Verwendung der Gelder. „Niemand im Senat hat ein Interesse daran, die Jüdische Gemeinde pleitegehen zu lassen“, sagt der Sprecher der Kulturverwaltung. Aber man müsse darauf achten, dass das Haushaltsrecht eingehalten werde. Man sei mit der Gemeinde im Gespräch, um einen einvernehmlichen Weg aus der Krise zu finden. „Das wird noch eine Weile dauern, aber wir werden das schon hinkriegen.“

Claudia Keller

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