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Zeugen der Zeit. Sie sind tonnenschwer, doch diese Schiffe wurden kilometerweit von den meterhohen Wassermassen in Thailand ins Landesinnere geschwemmt.

© Anke George

Zehn Jahre Tsunami: Ein zweites Leben nach der Flut

Anke George aus Treptow war im Weihnachtsurlaub, als der Tsunami vor zehn Jahren auf Thailand zurollte. Sie rettete sich auf ein Dach, ihr Ehemann überlebte nicht. Gerade war sie wieder in Khao Lak.

Die Touristen am Strand hatten sich gewundert, warum dieses Boot da draußen vom Meer plötzlich hoch in den Himmel gehoben wurde. Dann kam die erste Tsunamiwelle mit ohrenbetäubendem Lärm auf Anke George zu. „Ich hatte noch den Bungalowschlüssel in der Hand und habe mich instinktiv hinten an eine Palme geklammert“, erzählt die 56-Jährige. Die Treptowerin war mit ihrem Vater und Ehemann Eberhard 2004 im Weihnachtsurlaub in Khao Lak. Sie sah nur noch, wie ihr Mann in der Welle an ihr vorbeischoss.

Am 26. Dezember ist es zehn Jahre her, dass der zweifachen Mutter und Oma ein zweites Leben geschenkt wurde. Bei der Naturkatastrophe hatten 230.000 Menschen ihr Leben lassen müssen. „Wo unser Holzbungalow stand, stehen jetzt Betonhäuschen“, sagt Anke George.

Anlässlich des Jahrestages haben viele Medien bei ihr angeklopft. „Ich treffe mich aber nur mit dem Tagesspiegel, weil uns die Zeitung damals geholfen hat, dass die Polizei die 37 Berliner und 10 Brandenburger Opfer über unsere Gedenkinitiative informiert hat“, sagt Anke George. Sie ist Mit-Initiatorin der Gedenkstele, die in Form einer Welle mit allen Namen auf dem Friedhof der Kirchengemeinde Alt-Tempelhof an die Opfer erinnert. Es war eine Aktion der Hinterbliebenen der Gruppe „Hoffen bis zuletzt“ des Pfarrers Jörg Kluge und des Deutschen Roten Kreuzes – viele Tagesspiegel-Leser spendeten. An der Stele gedachten Anke George und ihr Lebensgefährte Jörg Stenger bereits ein paar Tage vor dem offiziellen Gedenktreffen am Jahrestag, dem 26. Dezember, um 14.30 Uhr der Toten.

Unvergessen. Auf dieser Stele in Tempelhof steht auch Eberhard Georges Name.
Unvergessen. Auf dieser Stele in Tempelhof steht auch Eberhard Georges Name.

© Anke George

„Ich freue mich total, am Leben zu sein, und genieße es – Ebi hätte das genauso gemacht und fände das gut.“ Manchmal fällt es ihr noch heute schwer „zu kapieren, dass ich das überlebt habe“. Sie wurde von der Palme zu einem Bungalow gewirbelt. Ein Österreicher – der sich Jahre später bei ihr meldete – reichte ihr eine Holzlatte, daran zog sie sich aufs Dach. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so ruhig bleibe, ich hielt auf dem Dach meine Wunde an der Hand zu und sprang dann rund sechs Meter in die Tiefe, in die Arme von zwei helfenden Männern.“ Sie und ihr Vater erfuhren „unendlich viel Hilfsbereitschaft von den Thailändern auch in den Kliniken“.

Der Tagesspiegel traf Anke George, Kundenberaterin einer Darmstädter Druckerei mit einer Zweigstelle am Ostbahnhof, immer wieder zum Gespräch, immer zur Weihnachtszeit. Gleich nach der Katastrophe ärgerte sie sich darüber, dass die Opfer noch am Krankenbett in Thailand Post mit Zahlungsaufforderungen aus Deutschland bekamen. Unter dem Schreiben zu den 19,07 Euro Soforthilfe des Bundes stand: „Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesundes neues Jahr.“

Die Namensliste der Berliner und Brandenburger Opfer wollte die Polizei zunächst nicht herausgeben wegen des Datenschutzes – und weil man ja jemanden hätte dransetzen müssen und es Porto gekostet hätte, hieß es damals. Nach den Recherchen des Tagesspiegels war es doch möglich, dafür ist Anke George noch heute dankbar. Denn nachdem sich die Hinterbliebenen, die ihren Angehörigen mit Namen auf der Stele gedenken wollten, kennenlernten, trafen ein Brandenburger und sie sich wieder. Der Mann hatte sich auf ein höheres Hoteldach retten können. Anke George schrie ihm ihren Namen zu, falls die zweite, sich nähernde Welle sie vom Dach spülen sollte. „Als er mich dann lebend wiedersah, sagte er: ,Jetzt sind meine Albträume verschwunden. Du lebst.‘ “

Anke George überlebte den Tsunami vor zehn Jahren.
Anke George überlebte den Tsunami vor zehn Jahren.

© pivat

Anke George zuckte nach der Katastrophe noch bei Lärm zusammen, aber sie wollte so schnell wie möglich wieder arbeiten gehen, zurück in den Alltag. Selbsthilfegruppe, Traumatherapie, Kur und Sport, das alles half. Und die Auseinandersetzung mit dem Unfassbaren, fürs Verarbeiten. So surfte sie auf der Tsunami-Website www.radarheinrich.de, wo auch sie ihre Erlebnisse eingestellt hatte. Der alte Server wurde aber gelöscht, heute stehen da Tipps etwa zum Kauf von Staubsaugern. Immer wieder reist die Treptowerin auch zurück zum Ort des Geschehens, wo sie im Jahr nach dem Seebeben im Schutt noch ihren ausgeblichenen Schuh am Strand entdeckte. Dass sie alles so gut verkraftete, „habe ich aber am meisten meiner Kämpfernatur zu verdanken“, sagte sie 2007. Beim diesjährigen Treffen ist George noch ein bisschen braun. Gerade erst war sie wieder mit ihrem Lebensgefährten in Khao Lak. Sie zeigt Bilder: vom Ban Nam Khem Tsunami Memorial Park, wo der Name ihres Mannes an der wellenförmigen Gedenkkachelwand schon verblichen ist. Sie besuchte die Schiffe, die die Wellen einst 30 Kilometer ins Landesinnere spülten. Und ihr Verhältnis zum Meer? „Ich habe keine Angst davor, weil so etwas sinnlos wäre.“

Die Erinnerung an ihren Mann, die lebt weiter, auch in den Kisten mit Andenken, die fein säuberlich weggestellt sind, aber vom Schrank heruntergeholt und gewürdigt werden können. Lebte Sie ihr Leben anders nach der Wiedergeburt? „Na ja, nach zwei Jahren fängt man wieder an, sich über Alltäglichkeiten zu ärgern.“ Dann strahlt Anke George. „Ich finde es schön, sich jetzt darüber zu freuen, es geschafft zu haben und immer freudig in die Zukunft gucken zu können – woran mein Lebensgefährte, meine Familie und Freunde einen großen Anteil haben.“

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