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Berlin: Zeitung: Bau auf, bau auf

Fischerbach. New York.

Fischerbach. New York. Berlin. Riesenschritte für ein Schwarzwaldmädel. "Schwazzwald", sagt Irene Armbruster und verschluckt mit dem süddeutschen Sing-Sang das R. Das macht sie immer noch, obwohl Fischerbach doch schon so lange her ist. Da tat Irene Armbruster ihre ersten Gehversuche, vor 33 Jahren. Später kam ein Trippelschritt nach Freiburg, fürs Geschichts-Studium, dann der große Sprung über den Atlantik nach New York. Und jetzt ist sie in Berlin, genauer im Einstein an der Kurfürstenstraße, und setzt sich erschöpft. Draußen brütende Hitze, drinnen Irene Armbruster, die nach dem Schwarzwaldscherz schon wieder verstummt ist.

Im Mittelpunkt zu stehen, das ist ihr nämlich unangenehm. "Im Vergleich zu den Leuten, die der Aufbau sonst noch hervorgebracht hat, bin ich wirklich diejenige, die solche Aufmerksamkeit am wenigsten verdient hat", sagt sie und guckt verlegen auf den Erdbeerkuchen. Aber da muss sie durch. Denn ab November ist Irene Armbruster Chefin, naja, wenn auch einzige Redakteurin, des New Yorker Aufbau in Berlin.

Dass der Aufbau nach Berlin kommt, ist eine Revolution in der Geschichte des kleinen Blattes. 1934 als deutschsprachige Emigrantenzeitung in New York gegründet, wurde er für die Exil-Juden zum Bindeglied in die Heimat. Der Aufbau kümmerte sich um Themen wie Emigration, Menschenrechte und Holocaustbewältigung und hielt die Leser über Politik und jüdisches Leben in Deutschland auf dem Laufenden. Hannah Arendt, Thomas Mann und auch Lion Feuchtwanger schrieben für das Blatt.

Doch mit den alternden Emigranten stirbt die Leserschaft aus - nach ursprünglich mal 50 000 verkauften Expemplaren sind es jetzt nur 10 000. Der Aufbau muss sich nach einer neuen Klientel umschauen. "Aus der Emigrantenzeitung muss eine transatlantische Zeitung werden", beschloss die Redaktion. Zielgruppe: Vor allem junge Leser, die sich sowohl für Amerika als auch für Deutschland interessieren. Vier Seiten Nachrichten aus Deutschland will der Aufbau ab November in der alle zwei Wochen erscheinenden Zeitung abdrucken - Armbrusters Job.

Noch ist die Abgesandte nicht ganz angekommen in Berlin. Sie pendelt hin und her zwischen der Wohnung ihres Mannes in Stuttgart - der schon während ihrer New-York-Zeit Strohwitwer war und es nun noch ein wenig länger bleiben muss - und ihrer zukünftigen Heimat. Hier verhandelt sie wegen des Aufbau-Sitzes, wo sie im November die Arbeit aufnehmen will. Ein möglicher Standort ist Wedding, "auf keinen Fall Mitte, zu teuer". Dazu kommen die Antrittsbesuche im Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam, bei jüdischen Gemeindemitgliedern, bei Ken Gorbey, dem Direktor des Jüdischen Museums, oder im Centrum Judaicum. Menschen sammeln, Geschichten horten. Nimmermüde. Aus welchem Quell speist sich diese Energie und sogar der Wille, erstmal auf Familienleben zu verzichten für den Aufbau?

Nein, Jüdin sei sie nicht, sagt Irene Armbruster, sozialisiert wurde sie in der christlichen Jugendbewegung, "und Reste sind da immer noch". Aber interessiert habe sie sich schon als junges Mädchen für die Welt des Judentums. Da war diese fast archäologische Faszination, die Geschichte der ausgelöschten Menschenleben wieder zu entdecken und das Gespür für die Aufgabe: Fang was an mit diesem Wissen, hilf, die neue Gesellschaft besser zu machen als die alte. Ihre Magisterarbeit schrieb Armbruster über die jüdische Frauenbewegung in der Weimarer Republik. Und fand einige Protagonistinnen in den Geschichten des Aufbau wieder. Da machte sie dann ein Praktikum - und es packte sie. Warum soll man sich nicht auch in eine Zeitung verknallen können?

Eigentlich hat Irene Armbruster ja nur zweieinhalb Jahre in New York verbracht. Doch das hat gereicht. Kollegen wurden Freunde, wie die zwei Monikas (Strauss und Ziegler) oder Lorenz Wolffers, der Chef, der eigentlich nur als Vertretung von AP in Bern nach New York kam - und "sich prompt dann auch in den Aufbau verliebt hat". Es scheint dem Aufbau eine Art Magnetismus anzuhängen, der alle Beteiligten zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenschweißt.

Die zweieinhalb Jahre waren gerade um, da kam der Gewissenskonflikt: "Wenn ich jetzt in New York geblieben wäre, dann wäre ich nie mehr zurückkgekommen", meint Irene Armbruster. Es wäre eine Entscheidung zwischen dem Beziehungsgeflecht dort und dem in Deutschland gewesen. "Ich liebe New York", sagt Irene Armbruster. "Aber Berlin ist unter allen deutschen Städten New York am ähnlichsten. Multiethnisch, quirlig, kulturell." Also machte Irene Armbruster ihren vorerst letzten Sprung: nach Berlin.

Schwer wird ihr das Einleben nicht fallen, meint Armbruster. Zumal sie sich in Kreuzberg schon ein kleines "Ersatz-New York" geschaffen hat: Zufällig hat es auch ihre Ex-Mitbewohnerin nach Berlin verschlagen, und jetzt wohnen beide am Südstern wieder zusammen. Auch ein Lieblingsbuchhändler ist schon gefunden, gerade hat Armbruster dort den neuen Robert Menasse gekauft. Sie mag den jüdischen Autor, aber er ist auch Pflichtlektüre für jemanden, der für den Aufbau schreibt. Aufbau, immer und überall.

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