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Berlin: Zellen in Brand gesetzt Aufstand in der Abschiebehaft

Flüchtlinge protestierten gegen Haftbedingungen – verletzt wurde niemand Gefängnis in Grünau ist seit Jahren in der Kritik von Kirchen und Opposition

Bei einem Aufruhr im Abschiebungsgewahrsam in Grünau haben Insassen in der Nacht zu Dienstag im zweiten Stock des Hauses 3 fünf Matratzen in Brand gesteckt. Verletzt wurde bei der Aktion niemand. Das Feuer konnte schnell gelöscht werden. Doch wegen der starken Rauchgasentwicklung mussten von den insgesamt 105 Insassen 32 Männer aus 16 Nationen sowie 17 Frauen aus dem darüber liegenden Stockwerk in andere Gebäudeteile verlegt werden. Nach Polizeiangaben soll sich die Lage gegen 1 Uhr beruhigt haben. Polizeipräsident Dieter Glietsch fuhr in der Nacht zum Gewahrsam, um sich „am Ort davon zu überzeugen, dass das Personal die Gefahrenlage professionell bewältigt hat“, wie es bei der Polizei hieß.

Der Abschiebegewahrsam Grünau geriet in der Vergangenheit immer wieder in die Schlagzeilen: Flüchtlingsverbände und Seelsorger kritisieren regelmäßig die schlechten Haftbedingungen für die Insassen. Abschiebehäftlinge hätten weniger Rechte als Untersuchungshäftlinge. Und dies, obwohl sie keine Straftäter sind, sondern nur festgenommen wurden, weil sie sich unberechtigt in Deutschland aufhalten. Nach dem Ausländergesetz darf inhaftiert werden, wer vorher bereits einmal untergetaucht ist. Es reicht aber auch der begründete Verdacht, jemand wolle sich der Abschiebung entziehen.

Kritisiert wurde vor allem die lange Haftdauer bis zur Abschiebung der Insassen. Anfang 2003 hatte es innerhalb weniger Wochen 30 Suizidversuche gegeben. Viele Insassen traten in einen mehrwöchigen Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen und die lange Haftdauer zu protestieren. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ging nach der Serie von Suizidversuchen von einem „Nachahmungseffekt“ aus, weil Häftlinge damals nach einem Selbstmordversuch automatisch aus dem Gewahrsam entlassen wurden. Dies wurde geändert: Wer versucht, sich im Gewahrsam umzubringen, kommt nach der ärztlichen Behandlung wieder in die Zelle zurück. Doch seit 2003 hat die Polizei einiges getan, um die Haftbedingungen zu verbessern: So wurden Teile der Innengitter entfernt, Tischtennisplatten aufgestellt und Arbeitsbeschäftigungsprogramme angeboten. „Die Verweildauer im Gewahrsam ist seit längerer Zeit rückläufig: Die meisten sitzen weniger als zwei Monate ein“, sagte ein Sprecher der Innenverwaltung.

Bei der Revolte in der Nacht zu Dienstag sollen sich nach ersten Ermittlungen die Insassen mit einem 63-jährigen Mazedonier solidarisiert haben, der zuvor versucht hatte, sich auf einer Toilette zu erhängen. Wachleute fanden nach Polizeiangaben den Mann aber noch rechtzeitig und konnten sofort erste Hilfe leisten. Der Grund für den Suizidversuch: Der Häftling soll darüber deprimiert gewesen sein, dass ihm die Kosten für Verpflegung und Unterbringung im Gewahrsam in Rechnung gestellt werden. „Diese so genannten Sicherheitsleistungen sind üblich. Doch vielen Insassen ist das nicht bekannt“, sagte ein Polizeisprecher. 62 Euro beträgt der Tagessatz pro Häftling. „Als die 14 anderen Insassen auf der Etage davon erfuhren, haben sie zunächst das Essen verweigert“, hieß es bei der Polizei. Gegen 0.30 Uhr verbarrikadierten die Männer dann die Türen zum Flur mit Möbeln aus der Zelle und zündeten die Matratzen an.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Jasenka Villbrandt, kritisierte gestern die Tatsache, dass „die Betroffenen für die Zeit ihrer Inhaftierung kräftig zur Kasse gebeten werden, zumal ihr einziges Vergehen darin besteht, keine Aufenthaltsgenehmigung zu haben“. Sie appellierte an den Senat und die Ausländerbehörde, dass „Abschiebehaft so selten und so kurz wie möglich beantragt wird“. Die meisten Insassen hätten das Geld für die Unterkunft nicht. „Dies wird ihnen in Rechnung gestellt. Wenn sie dann eines Tages legal nach Deutschland einreisen, sind sie total verschuldet“, sagt Villbrandt. Auch der katholische Gefängnisseelsorger Dieter Müller hat Verständnis für die Proteste: Er ist dafür, dass den Inhaftierten „ein ausreichend hoher Betrag gewährt wird, der nicht für die Haftkosten gepfändet wird“.

Der Vorfall in Grünau erinnert an eine Brandkatastrophe in einem anderen Abschiebegewahrsam. Im Januar 1984 waren sechs Ausländer im damaligen Abschiebegewahrsam am Augustaplatz in Lichterfelde verbrannt, nachdem sie ihre Matratzen angezündet hatten, um gegen ihre bevorstehende Abschiebung zu protestieren.

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