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Berlin: Zeltmission

Aufklärung als Fleißarbeit: Die wichtigsten Zeugen schweigen, dafür sprechen die Akten Bände

Die wichtigsten Zeugen schweigen bis heute. Peter Strieder, Irene Moessinger, Roland Specker – drei der zentralen Akteure rund um den Neubau des Kreuzberger Kulturzelts – gaben zwar vor dem Tempodrom-Untersuchungsausschuss allgemeine Erklärungen ab. Nachfragen zur Sache aber lehnten sie ab und beriefen sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht, da die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt. Ähnlich stumm blieben die beiden CDU-Staatssekretäre, die die Bankbürgschaft für das Projekt unterzeichneten und damit das Tempodrom zum Risiko für die Landeskasse machten.

Viele andere Zeugen aber – bislang knapp 40 – kamen und redeten ausführlich. Auch wühlten sich die zehn Parlamentarier und ihre Helfer bislang durch mehr als 500 Aktenordner voller Dokumente aus Banken, Verwaltungen und Firmenbüros. Das Ergebnis der Fleißarbeit: ein trotz schweigsamer Zeugen weitgehend vollständiges Bild darüber, wie das Tempodrom finanziert wurde, warum die Kosten außer Kontrolle gerieten und wer sich wie für die umstrittene Rettung des privaten Kulturbaus mit öffentlichem Geld einsetzte.

So gesehen ist die Arbeit des Ausschusses, der am 1. März vor einem Jahr erstmals zusammentrat, ein Erfolg. Darüber sind sich zum Jahrestag alle Parteien einig – auch wenn sich manche etwas mehr Effizienz gewünscht hätten: Statt der ursprünglich vom Abgeordnetenhaus angesetzten sechs Monate wird der Ausschuss bis zum Herbst, wenn der Abschlussbericht vorliegen soll, rund eineinhalb Jahre gearbeitet haben.

Strittig ist bis heute die politische Bewertung. Wer mit Ausschussmitgliedern spricht, bekommt mit den unstrittigen Tatsachen von den politischen Gegenspielern konträre Interpretationen mitgeliefert. Grundsätzlich sehen die Vertreter der Oppositionsparteien ihre Ausgangsthese bestätigt, dass die politische Verantwortung für das kostspielige Projekt bei Peter Strieder lag, dem im Zuge der Affäre zurückgetretenen Stadtentwicklungssenator, wenngleich man Strieder nicht mehr für allein entscheidend hält.

Die Vertreter der rot-roten Koalition – vor allem Strieders Partei, die SPD, in abgeschwächter Form aber auch die PDS – sehen sich im Gegenteil durch die einjährige Arbeit darin bestätigt, dass das Tempodrom viele politische Väter und Mütter hatte, darunter auch etliche in der CDU und bei den Grünen. Außerdem bewerten die Regierungsfraktionen die Versäumnisse der kreditgebenden Landesbank oder der Wirtschaftsprüfer in der Phase vor dem Tempodrom-Baubeginn als wichtiger, während die Opposition den Sündenfall in den von Peter Strieder verantworteten beiden „Rettungsaktionen“ sieht, mit denen der finanziell angeschlagene und später insolvent gegangene Bau 2001 und 2002 gestützt wurde.

Jenseits der politisch-taktischen Konflikte sind sich die Kontrahenten im Ausschuss in überraschend vielen Punkten einig. Parteiübergreifend ist das Schlagwort von der „organisierten Verantwortungslosigkeit“ zu hören, die der Ausschuss bei Landesbank und Wirtschaftsprüfern, bei Tempodrom-Gründern und politischen Unterstützern, bei Baufirmen und Verwaltung ausgemacht hat. Wie wenig sich die Akteure des 2000/2001 errichteten Baus wirklich verantwortlich fühlten und wie sehr unter politischer Einflussnahme wichtige Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt wurden, das ist den Politikern erst im Ausschuss deutlich geworden.

Auch für die Gäste auf den Zuhörerbänken waren die öffentlichen Sitzungen des Ausschusses an guten Tagen ein Grundkurs zur Funktionsweise des politisch-administrativen Systems in Berlin – mit erhellenden Einblicken in die teilweise erschreckend nachlässige Arbeit von Verwaltungen, Banken, Politikern und privaten Akteuren.

Befördert wurde die parlamentarische Aufarbeitung durch die parallel laufenden Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft. Ohne deren Akten und Befragungsprotokolle wäre manche Sachfrage schwerer zu klären gewesen, sagen die Parlamentarier. Auch die andauernden Ermittlungen gegen Strieder, Moessinger und andere dürften den Ausschuss vor dem Schicksal anderer ähnlicher Gremien bewahrt haben, nach einem furiosen Auftakt das Interesse der Öffentlichkeit weitgehend zu verlieren.

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