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Berlin: Zerbrechliches Band

Ein Buch über die Verbindung einer jüdischen und einer antisemitischen Familie in der NS-Zeit

Es ist eine Geschichte über „Liebe und Hass, Krieg und Frieden, Mord und wundersame Errettung“. Sie endet für die Protagonisten in Brasilien, Estland, Schwaben – und in Auschwitz. Aber sie beginnt in Berlin, in einem Mietshaus an der Charlottenburger Schillerstraße 104. Dort lebten in den zwanziger Jahren zwei Familien: Die Wolles, jüdisch-liberale Berliner Bildungsbürger, und die Burgers, pietistische Schwaben mit antisemetischer Einstellung. Trotz der Unterschiede heiratete der Sohn der Burgers die Tochter der Wolles. Wenig später wurde Sybille geboren, die heute Krause-Burger heißt und jetzt alles aufgeschrieben hat, was in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren geschah. („Herr Wolle lässt noch einmal grüßen“. Geschichte meiner deutsch-jüdischen Familie. Deutsche Verlagsanstalt, 256 Seiten, 19,95 Euro). „Es ist eine sehr komplizierte Familiengeschichte“, sagte Sybille Krause-Burger, als sie ihr Buch in Berlin jetzt im Literaturhaus vorstellte. Während einige Verwandte von den Nationalsozialisten getötet wurden, waren andere glühender Anhänger Hitlers und sogar in der SS.

„Ein bisschen ist es auch meine Geschichte. Ich habe mein ganzes Leben lang gedacht, dass ich sie irgendwann aufschreiben sollte.“ Doch sie hat es erst jetzt getan, nach einem langen Berufsleben als politische Journalistin, nachdem sie Bücher über Helmut Schmidt und Gerhard Schröder geschrieben hat und mit dem Theodor-Wolff-Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde.

Sybille Krause-Burger und ihre Eltern hatten nur deshalb das Hitler-Regime überlebt, weil sie aus Berlin flohen und sich bis zum Ende des Krieges mit ihren Eltern im schwäbischen Heimatdorf des Vaters versteckten – und weil alle Dorfbewohner halfen. Danach blieb die Familie in Schwaben, die Journalistin lebt heute in Stuttgart. „Nie wollte ich eine der KZ-Gedenkstätten besuchen“, schreibt sie. Das erschien ihr zu „bedrückend und unendlich belastend“. Vor allem hatte sie nur eine ungenaue Vorstellung davon, was aus ihrem jüngeren Onkel und ihrer Großmutter Thekla wurde. Auf der Suche nach Spuren fuhr sie schließlich ins Haus der Wannsee-Konferenz: Dort fand sie heraus, dass ihre Großmutter nach Estland deportiert und dort erschossen wurde. Und dass ihr Onkel die Ankunft in Auschwitz nur ein paar Tage überlebte.

Auch bei den Verwandten im Ausland hatte die Autorin angefragt, dabei „eigentlich nichts besonderes erwartet“. Doch dann kam aus Brasilien ein Paket voller alter Luftpostbriefe, geschrieben 1937 bis 1941 in Berlin auf hauchdünnem Seidenpapier. Krause-Burgers älterer Onkel Hans Wolle, der andere Bruder ihrer Mutter, hatte es als einziges Familienmitglied geschafft, ins Ausland zu fliehen – nach Sao Paulo. Seine Mutter Thekla und sein Bruder schrieben ihm jede Woche – kleine Banalitäten aus dem Berliner Alltag, und die Brüder spielten Schach per Brief. Nur selten kamen die Repressionen gegen die Juden vor, schließlich wurde jeder Brief von der Zensur gelesen. „Aber sie waren auch furchtbar blauäugig und glaubten nicht, dass etwas besonders Schreckliches auf sie zu kommen würde.“

Nicht nur die Zeit der Verfolgung beschreibt die Autorin detailliert, sondern auch das Leben jüdischer Berliner in der Weimarer Republik: Als viele wie Gustav und Thekla Wolle Max-Reinhardt-Inszenierungen besuchten, über die Kritiken von Alfred Kerr diskutierten und sich mit dem Maler Max Liebermann und dem Politiker Walter Rathenau verbunden fühlten. Daniela Martens

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