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Berlin: Zeugenklamauk im Prozess gegen „Landser“

Richter-Fragen nach der rechtsextremistischen Musikgruppe laufen ins Leere – Bandchef Michael R. würdigt die Mitangeklagten keines Blickes

Von Frank Jansen

Der Neonazi mit dem Topfhaarschnitt und dem leeren Messerhalfter am Gürtel möchte im Kammergericht spaßig wirken. Als ihn der Vorsitzende Richter fragt, wen er von der Berliner Rockband „Landser“ vor dem Prozess kannte, pumpt sich Thorsten H. ironisch auf: „Zu mir ist niemand gekommen und hat gesagt, ich bin Herr Landser.“ Dann belehrt der Zeuge den Richter, es sei nicht üblich, einen aus der Szene zu fragen, ob er zu der Band gehöre. Es sei ja auch „unfein, jemanden nach Fußpilz zu fragen“. Die drei angeklagten Mitglieder von Landser grinsen, die bizarr tätowierten Neonazis im Publikum auch. Richter Wolfgang Weißbrodt nimmt es hin. Der 56-Jährige mit dem weiß-grauen Vollbart scheint bei Thorsten H., einem notorischen Szeneanführer, den Mangel an Respekt vor Recht und Richter zu ignorieren.

Es ist der der zwölfte Tag im Prozess gegen Michael R. (38), André M. (35) und Christian W. (27), die trotz der schweren Vorwürfe in der Anklage von Generalbundesanwalt Kay Nehm gelassen erscheinen. Nehm beschuldigt die Rechtsrocker, sie hätten eine kriminelle Vereinigung gebildet, die mit ihren CDs und vor allem mit den brutalen Liedtexten zum Hass gegen Ausländer, Juden und andere „Teile der Bevölkerung“ aufstachelt. Und den Völkermord der Nazis verharmlost.

Das Verfahren wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, dabei handelt es sich um ein juristisches Pilotprojekt. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich ein Generalbundesanwalt eine rechtsextreme Band vorgenommen – um zu demonstrieren, dass dem in Teilen der Jugend so populären Rassistensound mit aller Macht entgegengetreten werden muss. Außerdem gilt Landser in der Szene als Kultband. Die Texte sind an Brutalität kaum zu übertreffen („Kanake verrecke“, „100000 Liter Strychnin für Kreuzberg“), und die Musiker organisierten Produktion und Vertrieb ihrer CDs im In- und Ausland so konspirativ wie gelernte Mafiosi.

Eigentlich kein Grund für Heiterkeit im Gerichtssaal. Doch Richter Weißbrodt hat seit Prozessbeginn nur einmal Härte gezeigt. Mitte Juli verweigerte der als Zeuge geladene Ex-Schlagzeuger der Band, Horst S., jede Aussage. Weißbrodt schickte ihn in Beugehaft. Sie kann bis zu sechs Monate dauern, sollte S. bockig bleiben. Der Schlagzeuger hatte die Band Mitte der neunziger Jahre verlassen, dennoch scheint er aus Furcht oder alter Loyalität zu schweigen. Die Angst wäre begründet: Michael R., Sänger und Chef von Landser, kommt zum Prozess stets in Begleitung eines bulligen Skinheads. Die glatzköpfigen Mitangeklagten Andreas M. und Christian W. haben womöglich auch einiges zu befürchten. Bei der Polizei legten sie Teilgeständnisse ab, Michael R. hingegen sagte zu den Vorwürfen nichts. Seitdem ist Landser gespalten. Andreas M. und Christian W. gelten jetzt offensichtlich als Verräter.

Im Gerichtssaal würdigt Pferdeschwanzträger R. die beiden keines Blickes. Auch die Neonazis im Publikum haben sich offenbar auf der Seite des Landser-Sängers geschlagen. Ein Grund mehr für Andreas M. und Christian W., sich um ihre Gesundheit Gedanken zu machen. Denn unter den Zuschauern befindet sich zum Beispiel ein so gefährlicher Mann wie Marcus B. Der mehrfach vorbestrafte Neonazi mit den großen, buschigen Koteletten hat im Sommer 1999, aus der Haft heraus, in einem Schreiben an den Tagesspiegel indirekt mit Mord gedroht. Im Gericht lächelt B., inzwischen auch Pferdeschwanzträger, kurz über die dreisten Töne des Zeugen Thorsten H. Danach verengen sich die Augen wieder zum starren Blick.

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