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Berlin: Zivilcourage: Ein Gottesgeschenk

Erntedankfest am Vorabend der Zehnjahresfeiern zur deutschen Wiedervereinigung - das fordert doch die Metaphern geradezu heraus; blühende Landschaften etc. pp.

Erntedankfest am Vorabend der Zehnjahresfeiern zur deutschen Wiedervereinigung - das fordert doch die Metaphern geradezu heraus; blühende Landschaften etc. pp. Wenn da eben nur nicht immer diese linken Spaßverderber - die Einheit haben sie ja sowieso nicht gewollt, wie Altkanzler Kohl weiß - wären, die beständig auf Armut und Obdachlosigkeit aufmerksam machen würden. Und das auch noch mit Stelltafeln im Foyer der Gethsemane-Kiche in Prenzlauer Berg, einem der Orte, wo das DDR-Regime seinerzeit ins Straucheln geriet.

Und fast schien es, als ob immer noch Widerstand und ein gewisses Misstrauen dort herrschen würden - ein Kameramann vom SFB jedenfalls wurde so umgehend aus der Kirche hinauskomplimentiert, das sich der Gottesdienstrezensent mit seinem Notizblock lieber tief in die Bankreihen duckte, um nicht in falschen Verdacht zu geraten. Doch das war unnötig, denn es sollte ganz unkonspirativ nur gefeiert werden: zunächst die Taufe eines Kindes und dann eben Erntedank. Pfarrer Christian Zeiske predigte über die Schöpfung, in guter protestantischer Manier vergaß er auch nicht, den schlechten Umgang mit derselben zu erwähnen, und dass eben alles nur eine Gabe Gottes sei. Ein Kollege im Talar übernahm die Predigt und redete von der Zerbrechlichkeit des Lebens, und es schien, als würde nun ausgerechnet an diesem historischen Ort und in dieser Zeit die Politik vor der Tür bleiben. Doch Zeiske erinnerte schließlich an die Zeiten der Wende und flocht die historischen Ereignisse in seine Predigt ein. Auch die damals gezeigte Zivilcourage sei Ernte, sagte er: "Zivilcourage, Mut und Weitblick sind etwas, was Gott geschenkt hat."

Es ist die Frage, wieweit die politische Richtlinienkompetenz der Kirche in jedem Gottesdienst im Vordergrund stehen muss. Und so mag man es für enttäuschend halten, dass dieser Aspekt nicht stärker hervorgehoben wurde - oder aber die Betonung auf den freudigen Aspekt des Erntedankfestes für eine Besinnung auf das Wesentliche halten. Politik und Theologie lassen sich nicht trennen, dafür steht die Gethsemane-Kirche in jedem Fall.

Alexander Pajevi¿c

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