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Berlin: Zivilcourage endlich ehren

Widerstand wird bestraft, ist die Lehre des Rentenrechts für die Helden des 17. Juni Von Andreas H. Apelt

Einmal mehr wird am heutigen 17. Juni der mutigen Frauen und Männer gedacht und das Hohelied von Zivilcourage und Widerstand gegen die letzte deutsche Diktatur gesungen. Dabei, das kann man den Festrednern nur raten, sollten sie schnell zum Ende kommen, sonst liefen sie nur Gefahr, Zeugnis von einem Versagen abzulegen. Einem deutschen Versagen, das die Widerständigen von damals bis heute und bis ins Rentenrecht bestraft. Und vielleicht würden sie damit auch manchen Zuhörern zuvorkommen, denen das Wort Heuchelei schon auf den Lippen liegt.

Wahr ist, dass sich das Land, welches sich so gern mit dem Mut vergangener Generationen schmückt und die Zivilcourage in jeder Sonntagsrede beschwört, beim Umgang mit den Widerständigen von einst nur ein Armutszeugnis ausstellen kann. Denn bis zum heutigen Tag hat es in Deutschland trotz der verschiedenen Rehabilitierungsgesetze keine angemessene materielle Entschädigung für die Betroffenen gegeben. Stattdessen kann jeder lernen, dass das deutsche Rentenrecht Duckmäuser und Mitläufer belohnt, Widerstand allerdings bestraft.

Dabei mag der Bauarbeiter, der am 17. Juni 1953 auf der Stalinallee demonstrierte und wegen „provokatorischer Losungen“ eine fünfjährige Zuchthausstrafe erhielt, noch Glück gehabt haben. Denn seine Rente fällt gegenüber jenem Arbeiter, der am 17. Juni lieber zu Hause blieb, nur um 40 Euro geringer aus. Bei einem Hochschulabsolventen, der eine deutlich längere Verfolgungszeit nachweist, kann die Differenz gut 200 Euro betragen. Noch deutlicher wird freilich die Differenz, berücksichtigt man, dass die ehemals Verfolgten um jede berufliche Perspektive gebracht wurden. Dies rächt sich in der Rente. Was werden die Betroffenen wohl heute ihren Enkeln über den Sinn von Widerstand in Diktaturen erzählen? Sollten sie vielleicht auf die opulente Ausstattung staatstragender DDR-Eliten mit bundesdeutschen Renten verweisen?

Die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstrittenen Erhöhungen für die SED-Nomenklatura und sogar Angestellte des Ministeriums für Staatssicherheit kosten den Steuerzahler jährlich über 3 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass der frühere hauptamtliche SED-Parteisekretär mit seiner gesicherten Rente von 1700 Euro im Monat nur über den einst streikenden Bauarbeiter lacht.

Der Verweis auf die leeren Kassen des Bundes und die offensichtliche Resignation der Betroffenen haben bis heute eine angemessene Entschädigung verhindert. Dabei wäre die Einführung einer „Ehrenpension“, wie seit Jahren von den Verfolgtenverbänden gefordert, eine einfache und schnell umsetzbare Lösung. Bislang sind aber alle Versuche, eine solche Rente einzuführen, gescheitert. Weder hatte im Bundestag der Antrag der früheren CDU/CSU–Opposition Erfolg, noch erreichten verschiedene Bundesratsinitiativen oder auch Anläufe in den Bundesländern wie Berlin die parlamentarischen Mehrheiten.

Für die Verfolgten blieb über die Jahre nur die Hoffnung. Diese keimte im Herbst vergangenen Jahres auf Bundesebene mit dem abgeschlossenen Koalitionsvertrag von CDU und SPD neu auf. Denn dort fand sich ein Bekenntnis zur Verbesserung der Situation der Opfer, dass auch eine Ehrenpension einschloss. Und auch eine neue Bundesratsinitiative ließ aufhorchen. Doch selbst wenn die Initiative der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Erfolg hätte, würde nur ein kleiner Teil der Verfolgten mit einer Entschädigung rechnen können. Diese fiele noch dazu vergleichsweise niedrig aus und würde mit 71 Millionen Euro nur einen Bruchteil jener Kosten verursachen, die für die milliardenschwere „Sonderversorgung der DDR-Staatsnahen“ aufzubringen ist. Deshalb könnte auch dieser Weg nur ein erster Schritt sein. Gerechtigkeit für jene, die am 17. Juni 1953 auf die Straße gingen und dafür leiden mussten, die allerdings sieht anders aus.

Der Autor ist seit 1991 für die CDU Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und war in der Wendezeit ein Mitbegründer des oppositionellen Demokratischen Aufbruchs.

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