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Berlin: Zu wenige Obduktionen: Mediziner klagen

Die Berliner Pathologen schlagen Alarm: Die Zahl der klinischen Obduktionen in der Hauptstadt sei dramatisch gesunken. 1999 landeten nur noch 2212 Patienten, die in Krankenhäusern eines natürlichen Todes gestorben waren, auf dem Seziertisch.

Die Berliner Pathologen schlagen Alarm: Die Zahl der klinischen Obduktionen in der Hauptstadt sei dramatisch gesunken. 1999 landeten nur noch 2212 Patienten, die in Krankenhäusern eines natürlichen Todes gestorben waren, auf dem Seziertisch. 1988 waren das noch 8181. Je nach Klinik werden derzeit nur noch zwischen zwei und 29 Prozent der verstorbenen Patienten auf die genaue Todesursache hin untersucht. "Das ist eine große Gefahr für die Qualitätssicherung ärztlicher Arbeit", warnte gestern der Chef der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz. Denn nur ein Pathologe könne abschließend beurteilen, ob die richtige Diagnose gestellt und die Behandlung entsprechend gewählt wurde - oder ob dem behandelnden Arzt ein Fehler unterlaufen ist. In einer repräsentativen Studie deckten Pathologen auf, dass bundesweit etwa 45 Prozent der zuvor gestellten Diagnosen nicht vollständig zutreffend sind. "Wenn ein Arzt nicht erfährt, welche Fehler er gemacht hat, kann er daraus auch nicht lernen", sagte Heinz Pickartz, Chefpathologe des Evangelischen Waldkrankenhauses Spandau.

Der Nutzen der "inneren Leichenschau" gehe darüber aber noch hinaus, betonte Johannes Friemann, Direktor der Pathologie am Unfallkrankenhaus Berlin. So verkraften die Angehörigen den Tod eines geliebten Menschen leichter, wenn man ihnen genau sagen kann, wie es dazu kam. Für die Empfänger von Spenderorganen muss die Obduktion Gefahren ausschließen, die beispielsweise von Metastasen ausgehen könnten. "Auch in Streitfällen mit Versicherungen sind die knallharten Fakten darüber, was zu der Krankheit und dem Tod führte, sehr wichtig", sagte Friemann.

Noch immer arbeiten die Pathologen im Prinzip mit denselben Methoden, wie Rudolf Virchow vor 150 Jahren. Sie entnehmen den Verstorbenen Organe, um sie zu untersuchen. Ihre Hauptinstrumente sind Pinzette und Mikroskop. Doch die altertümliche Technik sagt das nichts über die Effizenz der Pathologie aus, denn auch die moderne Geräte arbeiten nicht fehlerlos.

"Magenkrebs versteckt sich häufig in der Schleimhaut, wo ihn ein Computertomograph nicht aufspüren kann", sagte Friemann. Der Pathologe findet ihn, er kann den Magen anfassen. Oder ein Lungentumor, der nur einen Zentimeter lang ist. Er kann tödlich sein, ist aber von Tomographen nicht immer zu entdecken. "Ein Pathologe muss nicht über die Ursache der Krankheitssymptome diskutieren, er kann sie hundertprozentig bestimmen."

Friemann führt den Rückgang bei den Obduktionen auf den Personalmangel in den Kliniken zurück. "Wenn ein Patient in der Nacht stirbt, dann fehlt dem Dienst habenden Arzt oft die Kraft und die Zeit, ein psychologisch schwieriges Gespräch mit den Angehörigen zu führen und deren Einverständnis für die Sektion einzuholen." Zwar schreibe das 1996 verabschiedete Berliner Obduktionsgesetz dies nicht vor, doch verlangten die Krankenhäuser nach dieser Einverständniserklärung.

Deshalb plädieren die Pathologen dafür, dieses Einverständnis vom Patienten schon bei der Aufnahme ins Krankenhaus einzuholen. "Damit werden auch die Angehörigen entlastet", sagte Ärztekammerchef Jonitz.

Die Pathologen wünschen sich, die Zahl der Autopsien als Qualitätsmaßstab eines Krankenhauses zu begreifen. Daran könne man ablesen, wie die Fehlerauswertung funktioniert und wie qualifiziert die Ärzte seien. Als Richtwert nannte der Spandauer Chefpathologe Pickartz eine Obduktionsquote von mindestens 40 Prozent. Die Realität aber sieht anders aus.

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