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Berlin: Zugehört und mitgedacht: Ein Professor lädt zu Sartre ins Café

Eine Gemeinde von rund 60 Do-it-yourself-Philosophen macht sich bereit für Sartre. Frauen um die 50 halten einander wie Backfische Plätze in den überfüllten Stuhlreihen des Literaturhauses frei.

Eine Gemeinde von rund 60 Do-it-yourself-Philosophen macht sich bereit für Sartre. Frauen um die 50 halten einander wie Backfische Plätze in den überfüllten Stuhlreihen des Literaturhauses frei. Man kennt sich, winkt schon vom Eingang bekannten Gesichtern und hat routiniert schon mal Kladde und Stift zur Hand. Denn hier wird nicht nur über Sartre doziert, hier schreibt und philosophiert man selbst. Professor Lutz von Werder hat in sein philosophisches Café geladen. Hier stellt er die großen Philosophen des 20. Jahrhunderts vor und lädt ein, deren Gedanken weiterzuspinnen, weiterzuschreiben und die Texte dann vorzutragen.

Geschmeidig und erfreulich verständlich führt von Werder in den schwierigen Philosophen und seine turbulente Biographie ein: "Sartre war ein epochaler Liebhaber." Mit dankbar verständlichen Sätzen portioniert er den denkbar unverständlichen Sartre mundgerecht: "Das Ich ist nur das, was es aus sich selber macht." Oder: "Was muss man tun, um sein Ich in die Luft zu sprengen?" Lutz von Werder schmunzelnd aus kleinen Augen über die Brille ins Publikum: "Mal ehrlich. Wer von Ihnen hat auch schon mal mit Drogen experimentiert?"

Schau an, eine Dame um die 50 erzählt von ihren Horrortrips beim Kiffen und eine rote Dauerwelle in den besten Jahren gesteht: "Na ja, ich hab mit LSD experimentiert. Man ist natürlich nicht gut drauf, weil die Materie ist nicht fest und die Zeit irgendwie rund." Andere nicken wissend. Das ist alles sicher hochphilosophisch, denn irgendwie war es bei Sartre ja auch so, dass die Bewusstseinserweiterung frei macht.

Da kommt jeder mit und wenn von Werder erzählt, dass Sartre mit sieben Jahren auf den Gedanken vom "Ich-Bewusstsein durch die Tat" verfiel, macht man sich gern daran, auch mal was Philosophisches zu schreiben. Von Werder gibt mit Sartre die Themen vor: Mal ist es die Fortführung des Satzes "Ich bin..." mal - und schon schwieriger - "Schreiben Sie mal ihre Ich-Geschichte. Das kann sehr spannend sein!"

Und so sitzen sie dann alle da. Einige schreiben gewandt vom eigenen Ich oder den ersten Träumen oder den größten Hoffnungen und andere schauen erst mal versonnen aus dem Fenster über den Park hinaus auf die nächste Stadtvillenfront, um dann einen besonders schönen oder guten Satz zu notieren. Und dann wird vorgelesen und wohlmeinend diskutiert.

Und das ist es, was Lutz von Werder antreibt. Er sagt: "Die Philosophie der letzten Jahre hat die wichtigen Fragen nach dem Leben, nach dem Tod oder nach Gott nicht gestellt. Und sie hat keine Öffentlichkeit mehr."

Mit seinen philosophischen Cafés für Jedermann schafft von Werder diesen Raum neu und es gelingt ihm in seiner anregenden Art, auch schwierige Inhalte und Methoden der Philosophie für viele erfahrbar zu machen: "Philosophie", so von Werder, "ist eine gute Therapie für Gesunde."Die nächste Sitzung befasst sich am 21. März im Literaturhaus in der Fasanenstr 23 mit der Philosophin Hannah Arendt.

Thomas Monien

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