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Berlin: Zugluft im Kulturbetrieb

Zu feucht, zu kalt, zu laut ist es im Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz Für die Herbsttagung versammelt man sich jetzt lieber im alten Haus am Hanseatenweg

Kaum ein halbes Jahr ist seit der Eröffnung der neuen Akademie der Künste am Pariser Platz vergangen. Eine „Kultur des Sich-Einmischens“ hatte Bundespräsident Horst Köhler damals beschworen, einen unbequemen „Ort des Widerständigen“ inmitten des politischen Berlin. Unbequem ist dieser Ort in der Tat, das haben die Mitglieder der Berliner Akademie in den vergangenen sechs Monaten oft zu spüren bekommen. Zugluft, defekte Klimaanlagen, Versammlungsräume, die noch nicht einmal alle Mitglieder fassen, Baulärm von ringsumher, dazu neugierige Touristen, die durchs Haus streifen und Günter Behnischs spektakuläre, wenn auch spektakulär unpraktische Glasarchitektur bewundern.

Nun setzt die Akademie ein erstes Signal, und zieht sich für ihre Herbsttagung heute an den Hanseatenweg zurück. Dort im stillen Grün des Tiergartens und in Werner Düttmanns geräumigen, in Würde gealterten Hallen, stört nichts die intellektuelle Auseinandersetzung. Und: man ist unter sich. War es doch bislang ein Hauptmerkmal, ja der geheime Charme der turnusmäßigen Halbjahrestagungen, dass sich dort ein immer gleicher Kreis zu immer gleichen Ritualen trifft. Der Transfer solcher Rituale an den Pariser Platz hingegen ist noch nicht gelungen: Selbst die berühmte „Treppenrede“, die Walter Jens einst einführte und die seitdem den Höhepunkt der Mitgliederversammlungen bildet, geriet auf der von Günter Behnisch eigens für solche Reden geschaffenen, aber recht steilen Treppe zum unbequemen Kippeln. Für den greisen Architekten selbst wurde die Stiege bei der Eröffnung zur Herausforderung.

Nun spricht ja nichts dagegen, die Räume am Hanseatenweg, die die Akademie aus gutem Grund behalten hat, angemessen zu nutzen. Dass es für Düttmanns elegante Ausstellungshallen im Obergeschoss am Pariser Platz kein Äquivalent gibt, muss kein Nachteil sein. Die geplanten Kunstausstellungen, die die Akademie wegen des kritischen Raumklimas bis ins nächste Jahr hinein abgesagt hat, fänden am Hanseatenweg ohnehin ein besseres Quartier. Auch die Archive, die zunächst tief in den Untergrund versenkt werden sollten und nun doch in ihren alten Gebäuden verblieben sind, müssen nicht unbedingt am zentralen Ort versammelt werden: Konzentriertes Arbeiten ist anderswo in der Tat besser möglich. Von Büros und Verwaltungsapparaten ganz zu schweigen: So teure Büros wie am Pariser Platz leisten sich sonst nur Banken und Bundestagsabgeordnete.

Doch die öffentlichen Veranstaltungen, die Diskussionen, Lesungen, Debatten, das intellektuelle Leben, mit dem die Akademie ihre Daseinsberechtigung in der veränderten Berliner Republik erweisen muss, müssen am zentralen Ort stattfinden. Die Wahl des Versammlungsorts für die Herbsttagung ist also, mehr als eine allein praktische Erwägung, vor allem eine Grundsatzentscheidung: Wie viel und welche Öffentlichkeit möchte man? Das „Schaufenster der Republik“, als welches Behnisch sein Gebäude der – inzwischen vom Bund übernommenen – Akademie anpries, hat Folgen für deren Selbstverständnis. Mehr politische Einmischung, schnelleres Reagieren, auch lauteres Trommeln wäre am Pariser Platz vonnöten. Wenn hier nicht die Massen strömen, auch neue Massen, die noch nie ihren Weg ins alte Quartier im Tiergarten gefunden haben, dann steht es schlecht um die Berliner Akademie.

Jahrestage. Lange Nacht der Berliner Akademie, heute ab 19 Uhr, Hanseatenweg 10, Infos unter www.adk.de

Christina Tilmann

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