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Zukunftsserie: Welche Visionen es für Berlin gibt

Innovative Technologien, neue Geschäftsfelder, intelligentes Produzieren – welche Entwicklungen die Forscher von Prognos für Berlin erwarten.

Der Physiker Karlheinz Steinmauer sagt: Die Zukunft ist einerseits leicht, andererseits schwer vorauszusagen. Der einfache Teil der Übung besteht darin, Trends und Entwicklungen der Gegenwart fortzuschreiben und zuzuspitzen. Das Dilemma der Zukunftsforscher besteht aber darin, dass alle Jahr und Tag ein unvorhergesehenes Ereignis diesen langen, ruhigen Fluss schlagartig unterbricht. Der Fall der Mauer war ein solches Ereignis. Er hat alles verändert, gerade in Berlin. Die Einheit ist 20 Jahre her. Weitere 20 Jahre wird es aber noch dauern, bis Berlin seine neue Identität gefunden hat.

Davon ist Volker Hassemer überzeugt. Der Vorstand der Stiftung Zukunft Berlin sagt: „Die Zukunft Berlins liegt zwischen der Anziehungskraft der Stadt auf Kreative und der Bedeutung, die Berlin schon heute in der Welt hat“. Dieser Weg führe über die Neuerfindung Berlins. Weder die Zeit als subventionierte Insel kehrt wieder noch Berlins Vergangenheit als Industrie- und Dienstleistungszentrum.

Immerhin, der Abstieg Berlins zur deutschen Armutshauptstadt ist gestoppt. Seit fünf Jahren wächst die Stadt stärker als der Rest der Republik. Und während im ersten Quartal 2010 deutschlandweit Jobs verloren gingen, nahm die Beschäftigung in Berlin um ein Prozent zu. Besser lief es nirgendwo. Schon seit sechs Jahren ist das so. Mehr Arbeit gibt es, weil es mehr Aufträge gibt: sogar bei den Industriebetrieben (plus vier Prozent) und im Bau (plus sieben Prozent). Rekorde melden auch die Gewerbeämter: über 12 000 Unternehmen wurden 2009 gegründet.

Und während Regionen wie München, die auch einmal Milchhöfe durch Chipfabriken ersetzten, noch vom Boom der 2000er Jahre profitieren, schafft Berlin die Arbeitsplätze der Zukunft: Sie entstehen in „Kompetenzfeldern“, wie der Senat die Branchen Verkehr, Pharma mit Medizin- und Bio-Technologie, Energie, Kulturwirtschaft sowie Optik und Mikrosystemtechnik nennt. Sie sollen die Zukunft prägen – und ganze Quartiere.

An dieser Strategie knüpft auch „Berlin 2030“ an, eine Zukunftsstudie der Schweizer Prognos AG im Auftrag der Berliner Bank. Prognos-Chef Christian Böllhoff hebt auch den Flughafen BBI hervor: „Dadurch dreht sich die Stadt.“ Charlottenburg-Wilmersdorf und Schöneberg profitierten vom neuen Airport, weil man ihn über die Autobahn schnell erreicht. Andere sehen das Gebiet zwischen Ostbahnhof und Köpenick – Mediaspree inbegriffen – durch den Neubau BBI ins Zentrum rücken.

Viel Kraft schöpft Berlin ausgerechnet aus seiner Vergangenheit als geteilte, zersplitterte Stadt voller Industriebrachen: In alten Häfen, an Spreeufern und auf den ehemaligen Flughäfen wächst das neue wirtschaftliche Rückgrat. Nirgendwo sonst gibt es am Hauptbahnhof so viel Platz für Firmen: In der Europacity und der Heidestraße vermarkten nach den Erwartungen der Prognos-Forscher im Jahr 2030 Manager der Pharmaindustrie neue Produkte. Ein „Pharma-Campus“ ist entstanden, der vom Sitz des Multis Bayer-Schering ausstrahlt. Dort arbeiten 10 000 Menschen. Auch der Flughafen Tegel ist umgenutzt: 50 000 Forscher entwickeln hier Umwelttechnologien.

Prognos-Geschäftsführer Böllhoff warnt aber: Diese Entwicklung ist kein Selbstläufer. Produktionen und Konzerne ziehen nicht wie junge Leute nach Berlin. Und Akademiker verlassen die Stadt oft wieder, sobald sie ihren Abschluss haben. Es fehlt an Jobs. Berlin müsse seine Chance im „intelligenten Produzieren“ suchen. Zukunftstechnologien wie 3-D-Plotter ermöglichten es, fertige Industrieprodukte in kleinen Serien „auszudrucken“. Dadurch können im Jahr 2030 die Firmen, die das Netz an Hoch- und Fachhochschulen hervorbringt, Prototypen für Konzerne entwickeln.

Dass der Senat die Förderungen auf bestehende „Kompetenzfelder“ konzentriert, heißt Prognos-Chef Böllhoff gut. Bis 2030 soll Berlin eine „Global City“ werden: Es entwickle wie London oder New York einen Sog und könne deshalb „in Konkurrenz zu Brüssel treten und internationale Holdings herlocken.“

Und die Integration im Jahr 2030? Sie gelingt unter jenen Zuwanderern, die „bildungsaffin“ sind, wie es Stadtsoziologe Hartmut Häußermann nennt. Sie werden in den kommenden 20 Jahren laut Prognos-Studie zum „muslimischen Bürgertum.“ Es sind Kinder und Enkelkinder der Zuwanderer. Sie haben studiert, bekennen sich zu ihren Wurzeln, aber auch zu kulturellen Werten der (deutschen) Mittelschicht – und füllen die Lücken, die die Alterung der Gesellschaft reißt.

Mittelschicht, gibt es die in 20 Jahren noch? Prognos geht davon aus. Aber Böllhoff sagt auch eine stärkere Spaltung der Stadt nach Kaufkraft voraus. Verlierer sind die Ränder Berlins, Großsiedlungen wie in Hellersdorf, weil sie fernab von Kiez und Kultur sind. Das Bürgertum dagegen ist zurück in der City, seine „Townhouses“ haben die Brachen gefüllt.

Man müsse die „Schwächen dieses Ortes“ beseitigen, sagt Thomas Willemeit über das Umfeld des Fernsehturmes am Alexanderplatz. Das heute „zersplitterte Gefüge“ müsse eine Fassung bekommen, und vielleicht könnten eine Markthalle oder ein Neubau für Veranstaltungen hinzukommen, sagt er zu den Planungen für das Areal, die in Kooperation mit den Büros Chipperfield und Kiefer entstanden. Im Hintergrund Hochhäuser und eine Randbebauung vor dem Roten Rathaus, so stellt sich Graft die Zukunft des Geländes vor – als einen interaktiven Platz, etwa mit von den Besuchern steuerbaren Lichtkränen, wie sie das niederländische Büro Westacht realisierte (oben). Die drei Graft-Partner nennen Orte wie diesen „fantastische Freiräume“. Und wie die Stadt mit ihnen umgeht, entscheide über die Zukunft Berlins. Die Versiegelung stoppen, Wasser und Grünflächen nutzen, um die Qualität von Luft und Klima zu verbessern, kurzum: das Leben in der Stadt gesünder zu machen, müsse Ziel der Planungen sein. Noch wichtiger seien aber wenig Neubauten und viel offener Raum, weil schon heute viele Menschen in dem östlichen Zentrum der Stadt leben und die Wohnquartiere im Scheunenviertel an das Gebiet anschließen. Grünflächen gibt es in der Umgebung dagegen nur wenige.

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