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Berlin: Zum Dahinschmelzen

Die Sommer werden länger und heißer – ist Berlin dem gewachsen? Was in Sachen Hitzebeständigkeit unbedingt nachzuholen ist

Die Kunst des Überlebens heißt Anpassung: Ist es kalt, trägt man Mütze, ist es immer kalt, baut man Iglus, ist es heiß, geht man Baden – und wenn es immer heiß ist? Dieser Sommer dauert, so ist es prognostiziert, noch lange, ähnlich lange, heiße Sommer werden folgen und deshalb muss Berlins Hitzetauglichkeit geprüft werden.

Schon mal mit der U-Bahnlinie 1 gefahren? Vier Stationen, dann ist jeder Fahrgast richtig durchgeweicht. Linderungsversuche (Stöhnen, Zeitungswedeln, T-Shirt-Zupfen) wirken hilflos und bringen nichts. Im U-Bahn-Netz fahren nur einige Fahrer klimatisiert oder wenigstens mit offenen Türen. Nicht anders ist es bei der S-Bahn, deren Abkürzung saisonal durchaus für Sauna-Bahn stehen darf. Ein Drittel der Busse ist dagegen bereits auf Klima umgerüstet. Woran man die erkennt? Vielleicht am entspannten Gesichtsausdruck der Mitreisenden.

Amerika hat es vorgemacht: Eiswürfelmaschinen machen das heiße Leben leichter. Nicht nur, dass die Eisstückchen lauwarme Drinks schnell auf angenehme Temperaturen bringen, sie eignen sich auch bestens zum Basteln von Kühlkissen oder Fußbädern. Wer dazu keine Zeit hat, kann in einem unbeobachteten Moment die sonnenverbrannten Arme einfach mal kurz bis zum Anschlag im Behälter verschwinden lassen. Wirkt Wunder.

Ein in Vergessenheit geratenes Accessoire mit großem Mehrwert ist der Sonnenschirm. Nicht der ausladende für den Balkon, sondern der regenschirmartige (Regen ist Wasser, das früher aus grauer Watte vom Himmel fiel). Schützt vor Sonnenbrand und Hitzepickeln. In Japan ist der papierne Sonnenschirm noch immer so en vogue, wie unter Europas Damen in den frühen Zwanzigern. Sonnenschirme sollten anders als die oft schwarzen Regenschirme helle Farben haben. Wer über Personal verfügt, kann auch über die Reaktivierung des mittelalterlichen Baldachins nachdenken.

Umlernen müssen auch die Landwirte. Erdbeeren, Blaubeeren, Aprikosen – das sind Früchte, die für das europäische Mittelmaß geeignet sein mögen. Doch bei diesem Klima lassen sie Obsthändler und Kunden schnell verzweifeln. Spätestens um 10 Uhr morgens beginnt die Auslage matschig zu werden, ab 12 scheinen die Früchte innerlich zu kochen, um ab 14 Uhr langsam in den Gärungsprozess überzugehen. Für den nächsten Sommer sollten die Bauern vorsorgen: Ananas, Mango, Papaya, Kokosnusspalmen gehören fortan auf Brandenburgs Felder. Strauße, Elefanten und Kamele sind ja auch schon da.

Die vielleicht vornehmste Anpassungserscheinung an fortwährende Hitze ist die Siesta, deren Nutzen für die Produktivität auch hierzulande beständig gepredigt wird – ohne das Konsequenzen gezogen würden. Das muss sich ändern. Der Ku’damm zwischen zwölf und 15.30 Uhr ausgestorben, Verkäuferinnen wie Kundinnen im Schatten von Kokospalmen dösend, das ist hitzebeständiges Verhalten.

Ein Fall für Dialektiker ist der Einsatz von Kühlpilzen, dem sommerlichen Äquivalent zum Heizpilz, der im Frühwinter das Draußensitzen ermöglicht. Diese Open-Air-Conditioner kühlen angenehm den hitzevollen Kopf, führen aber durch hohen Stromverbrauch auch wieder zur Beschleunigung des Klimawandels, der für die steigenden Temperaturen mitverantwortlich gemacht wird. Ihr Einsatz bleibt ein Drahtseilakt.

Das sagt einem jeder Arzt: Viel trinken ist ab 25 Grad Celsius Pflicht. Und so sieht man die Massen nach lauwarmer Limonade anstehen, im Supermarkt, bei den Fast-Food-Ketten. Dabei weiß in den ewig heißen Gegenden dieser Welt jeder Ein-Euro-Jobber, dass es nur einen Entsafter braucht, um viele Kunden und die eigene Kasse glücklich zu machen. Gemüse- und Fruchtsäfte, zum Mitnehmen, an jeder Straßenecke. Das würde nicht nur Berliner Ärzte glücklich machen.

Zweite kulinarische Verpflichtung: scharf essen. Denn in Hitzephasen, wenn der Mensch erlahmt, flippen Bakterien und Keime schier aus vor Lebenslust, und dem stellen sich viele Gewürze entgegen. Wissenschaftler fanden heraus, dass Paprika, Chili, Ingwer und andere scharfe Pfefferarten bis zu 75 Prozent der Bakterien vernichten oder hemmen.

Perspektivisch sollte man Berlins 64 Frei- und Sommerbädern noch eine Hundertschaft hinzufügen oder das Baden in allen Kanälen ermöglichen. Dann ist die Stadt nicht nur der heißeste Spot in ganz Deutschland – sondern wäre auch unbedingt hitzebeständig.

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