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Berlin: Zum Fest sprach Günter Grass Paul-Natorp-Schule

feierte 100-Jähriges

Der Schöneberger Stadtteil Friedenau wird in Immobilienanzeigen gern als Literatenviertel angepriesen. Das Klinkersteinhäuschen in der Niedstraße, in dem Günter Grass viele Jahre lebte und arbeitete, dürfte an dieser Etikettierung großen Anteil haben. Auch Literaten haben Kinder: Ein Sohn und eine Tochter des Schriftstellers besuchten die Paul-Natorp-Oberschule, aktuell sind es zwei Enkelinnen. Da lag es nicht fern, Günter Grass, 81, zum Festakt des hundertsten Geburtstages am Freitag als Redner einzuladen.

Die Feier fand in einer gut getarnten Baustelle statt, da die Schule in der Goßlerstraße seit Jahren aufwändig restauriert wird. Die Aula ist das Zentrum der Schule, die Unterrichtsräume liegen an deren Wandelgängen – einmalig in Berlin. Die Transparenz dieser architektonischen Idee, die an den Innenhof etwa der alten TU erinnert, wird durch das Glasdach unterstrichen.

Die Aula als Forum: Grass wandte sich unter dem Motto „Mündig sein“ mehr als jeder andere Redner an die anwesenden 400 Gäste, darunter viele Schüler. Der mündige Bürger sei zur Floskel in Sonntagsreden verkommen, die demokratische Grundordnung sei aus den Fugen geraten. Zwar stehe im Grundgesetz, dass jeder Bürger gleich sei, doch falle die Überprüfung der Verfassungswirklichkeit negativ aus. Etwas stimme beispielsweise nicht, wenn der ehemalige Post-Vorstandschef Klaus Zumwinkel für sein „asoziales Verhalten“ – millionenschwere Steuerhinterziehung – eine Bewährungsstrafe erhalte, während eine Supermarkt–Kassiererin wegen angeblicher Unterschlagung von einem Euro und 35 Cent fristlos entlassen werde.

Demokratie sei kein fester Besitz. In Anspielung auf die „neoliberale Ideologie der grenzenlosen Gewinnmaximierung“ spottete Grass über diejenigen, die „vorgestern noch den Staat entmachtet sehen wollten und nun nach staatlicher Hilfe schreien“. Das alles sei schlimm. Noch viel schlimmer aber sei das Schweigen im Lande.

Mit diesen Beispielen wolle er deutlich machen, wie zerbrechlich Demokratie sei. Noch heute frage er sich, wie es zum Zerfall der Weimarer Republik gekommen sei. Es habe an mündigen Bürgern gefehlt. Eine Schule wie die Paul-Natorp-Oberschule habe die Aufgabe, ihre Schüler auf diese Rolle vorzubereiten. „Eigentlich schade“, schloss Grass, „dass ich nie die Chance gehabt habe, hier Schüler sein zu dürfen. Vielleicht hätte ich doch noch das Abitur geschafft.“ Uwe Soukup

Uwe Soukup

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