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Sinnloser Hass. 2007 wurde eine jüdische Kindertagesstätte in Charlottenburg mit Hakenkreuzen beschmiert und ein Rauchkörper in das Gebäude geworfen. Die Verantwortlichen wurden nie gefasst – wie bei vielen antisemitischen Straftaten in Berlin. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Zum Schaden der Opfer:: Antisemitische Übergriffe werden oft nicht aufgeklärt

Juristisch lassen sich antijüdisch motivierte Beleidigungen und Bedrohungen oft nicht nachweisen oder die Täter werden nicht gefasst. Das hat fatale Folgen: Man glaubt den Betroffenen nicht – und sie geben es auf, solche Vorfälle anzuzeigen.

Von Sandra Dassler

Natürlich wäre es Daniel Alter lieber, wenn die Schläger gefunden würden, die ihn im August 2012 in Friedenau vor den Augen seiner sechsjährigen Tochter verletzten. Der 53-jährige Rabbiner hat sein Entsetzen überwunden, engagiert sich seither noch stärker für ein friedliches Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Religionen und ist seit Ende 2012 Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde. Persönliche Rache liege ihm fern, sagt er: „Doch für die demokratische Zivilgesellschaft wäre es wichtig, dass die Täter gefunden und vor Gericht gestellt werden. Aber ich weiß, dass die Ermittler alles getan haben, leider ohne Erfolg.“

Daniel Alter hat, was seinen Fall angeht, keine Zweifel an den Justizbehörden. Ganz anders sieht das der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, nachdem die Staatsanwaltschaft, wie berichtet, die Ermittlungen gegen einen Mann, der ihn bedroht haben soll, eingestellt hat. „Mein Vertrauen in die Justiz ist erschüttert“, sagte Kramer dem Tagesspiegel: „Der Mann sagte, er würde mich nur deshalb nicht angreifen, weil meine Kinder dabei seien. Und die Bedrohungssituation war ja so groß, dass mehrere Zeugen die Polizei riefen, die wiederum Verstärkung anfordern musste, um den Mann zu bändigen. Wenn so etwas keine Sanktionen nach sich zieht, ermuntert es viele, ihre Aggressionen auszuleben.“

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben gründlich ermittelt“, sagt er: „Aber wir konnten eine strafbare Bedrohung ebenso wenig nachweisen wie einen antisemitischen Hintergrund. Das heißt aber nicht, dass es kein antisemitisches Motiv gegeben haben kann.“

Davon ist Rabbiner Alter überzeugt. „Herr Kramer hat berichtet, dass die Bedrohung begann, nachdem der andere sein Gebetsbuch bemerkte. Aber wir erleben immer wieder, wie schwer es ist, antisemitische Tatmotive nachzuweisen.“

Das gilt auch für zwei weitere Fälle, die im vergangenen Herbst nach dem Überfall auf Daniel Alter publik wurden. Nach Angaben der Polizei gar nicht angezeigt – und demzufolge weder von Polizei noch Staatsanwaltschaft verfolgt – wurde der Fall eines Taxifahrers, der sich geweigert haben soll, eine jüdische Familie in die Charlottenburger Synagoge zu fahren. Immerhin hatte das für Taxifahrer zuständige Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) ein Verfahren gegen den Taxifahrer eingeleitet. „Es wurde im Dezember 2012 mit einer Verwarnung des Taxifahrers abgeschlossen“, sagte der Sprecher der Senatsinnenverwaltung, Stefan Sukale: „Die Betroffenen wurden davon unterrichtet.“

Völlig ergebnislos blieben die Ermittlungen zu einem Vorfall in Charlottenburg, bei dem 13 Schülerinnen der jüdisch-orthodoxen Traditionsschule von vier anderen, laut Zeugen „arabisch aussehenden“ Schülerinnen beleidigt wurden. Zwar hatte auch eine Lehrerin die Schmähungen gehört und bezeugt, aber die Täter wurden schlichtweg nicht gefunden.

Die Erfolglosigkeit der Ermittler kann fatale Folgen haben, meint Daniel Alter. Zum einen glaubten manche, dass eingestellte Verfahren gleichbedeutend mit falschen Behauptungen der Opfer seien, was natürlich nicht stimme. Zum anderen entstünde bei den Opfern der Eindruck, dass es keinen Zweck habe, antisemitische Vorfälle anzuzeigen.

„Ich kenne viele Fälle, bei denen jüdische Mitbürger keine Anzeige erstatten, weil sie es für aussichtslos halten, dass die Täter ermittelt werden und sie sich daher nicht den Belastungen aussetzen wollen, die mit einer Anzeige verbunden sind“, sagt Levi Salomon, Sprecher des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Vielleicht gehe die Zahl der Übergriffe und Beleidigungen auch deshalb laut Statistik zurück. „Während die gefühlte Bedrohung für jüdische Menschen in Berlin größer wird.“ Die Dunkelziffer tätlicher oder verbaler antisemitischer Attacken sei jedenfalls weit höher.

Das vermutet auch Daniel Alter. Er sagt: „Die Mehrheitsgesellschaft ist leider noch nicht genügend dafür sensibilisiert, dass manche Bedrohungen oder Beleidigungen vielleicht strafrechtlich nicht relevant, aber dennoch antisemitisch und für die Opfer sehr schwerwiegend sind.“

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