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Feiern statt jammern.

© DAVIDS

Berlin: Zum Tanzen in den Keller

Oben wird gegessen, unten gefeiert: Zwei Partyveranstalter wollen den totgesagten Prenzlauer Berg rekultivieren.

In Prenzlauer Berg hat ein neuer Club eröffnet. Klingt wie ein schlechter Witz? Stimmt aber. Da, wo in den letzten Jahren ein Laden nach dem anderem dichtgemacht hat, beweisen Martin Görlitz und Thomas Simon Mut zum Risiko. Im vergangenen Herbst eröffneten sie in der Pappelallee 65 das „SLF“. Früher befand sich an dieser Stelle das „Queens“, ein Treffpunkt für lesbische Frauen. Görlitz und Simon ließen die Räume komplett umgestalten und betreiben hier nun ein Restaurant für deutsche Küche, die Abkürzung SLF steht für „Stadt, Land, Fluss“. In dem dazugehörigen Club im Keller haben sie bislang nur sporadisch Partys stattfinden lassen.

Das soll sich nun ändern. André Boiko und Niklas Mascher wollen hier jeden letzten Freitag im Monat eine feste Veranstaltungsreihe etablieren. Nach zwei Testläufen im März und April soll es diesen Freitag richtig losgehen, zum Auftakt steht Techno-DJ Sven Dohse an den Plattenspielern, einstiges Bar-25-Urgestein. „Nepenthes“ heißt der Titel der neuen Partyreihe, er ist der griechischen Mythologie entlehnt und bedeutet übersetzt „gegen Kummer“. Das soll auch die Devise von Boiko und Mascher werden. Statt über Verdrängung, Latte-Macchiato-Mütter und Luxus-Wohnprojekte zu jammern, haben sie sich nichts weniger als die „Rekultivierung eines totgesagten Gebietes“ vorgenommen.

Über die Maße ambitioniert findet André Boiko dieses Vorhaben nicht. In der Gegend wohnen nur junge Familien, die dem Party-Alter längst entwachsen sind und Clubs als Störfaktor ihrer bürgerlicher Idylle empfinden? Boiko – seit langem Bewohner von Prenzlauer Berg, leidenschaftlicher Hobby-DJ, hauptberuflicher Zahnarzt und selbst Vater eines fünf Monate alten Sohnes – hat einen anderen Eindruck. Viele seiner Freunde und Nachbarn gehen zum Feiern nach Neukölln oder Kreuzberg, erzählt er. Einige seien wegen mangelnder Angebote im Kiez sogar schon weggezogen. „Einfach mal abends vor die Tür gehen ist hier fast nicht mehr machbar, denn Läden mit musikalischem Anspruch gibt es kaum noch“, sagt der 38-Jährige. Dagegen wollen er und sein Kompagnon was tun.

Der Ort, an dem sie ihre Idee verwirklichen, könnte symbolträchtiger nicht sein. Nur wenige Meter vom SLF entfernt musste erst im Januar der Klub der Republik (KdR) dichtmachen. Das zweistöckige Gebäude, in dem sich zu DDR-Zeiten die „Produktionsgenossenschaft des Handwerks Linoleum und Teppichboden“ befand, soll einem Neubau mit Eigentumswohnungen weichen. Resigniert hatten kurz zuvor schon die Betreiber des Icons in der Cantianstraße. Weil wegen Lärmbeschwerden immer wieder die Polizei kam und es zudem Querelen bei der Verlängerung des Mietvertrags gab, warfen Pamela Schobeß und Lars Döring nach 15 Jahren entnervt das Handtuch. Mittlerweile betreiben sie einen neuen Club – das Gretchen in Kreuzberg.

Lärmbeschwerden von Anwohnern fürchten André Boiko und Niklas Mascher nicht. Die Kellerräume sind schallgeschützt, mehrere Türen verhindern, dass Musik nach draußen dringt. „Das ist der große Trumpf des Ladens“, sagt Mascher. Wer an dem sanierten Altbau vorbeiläuft, würde nicht auf die Idee kommen, dass sich hier ein Club befindet. Nur Eingeweihte wissen, wohin die Wendeltreppe neben dem Speiseraum führt.

Mit der Partyreihe im SLF erfüllt sich für Boiko und Mascher der lange Wunsch nach einem festen Veranstaltungsort. In der Vergangenheit haben die beiden schon oft Partys organisiert. In Berlin und auch im Ausland. In Lappland hielten sie einst ein zehntägiges Deep-House-Camp ab, für das sie Musik- und Lichtanlage per Helikopter einfliegen ließen. Und in Frankreich richteten sie auf einem Schloss im Périgord eine Party für 400 geladene Gäste aus. Sie organisierten die Veranstaltung nicht nur, sondern traten auch auf. Boiko stand am Plattenspieler, legte House und Soul auf, Mascher begleitete ihn dazu auf dem Saxofon – als Musiker nennt sich der 46-Jährige Niklas on Sax, früher spielte er sogar im legendären Club Dschungel.

So oft wie früher sind die beiden heute natürlich nicht mehr nachts unterwegs. Boiko muss montags fit sein, wenn er in seiner Praxis den Patienten mit Bohrer und Zange auf den Zahn fühlt. Und auch Mascher geht einem geregelten Beruf nach. Mit seiner Agentur „Brandinavia“ vermittelt der gebürtige Schwede, der im Alter von sechs Jahren nach West-Berlin kam, Kulturprojekte aus Skandinavien nach Berlin und kümmert sich zudem um die Vermarktung des Teufelsbergs.

Im SLF schwebt den beiden ein ganzheitliches Abendkonzept vor: Erst sollen sich die Besucher im Restaurant stärken, etwa mit gebratener Blutwurst oder geschmorten Rinderbäckchen, danach geht’s zum Tanzen runter in den Keller. „Viele Leute, die hier wohnen und Kinder haben, wollen nach wie vor etwas erleben – und sei es nur von zwölf bis zwei, während daheim der Babysitter auf den Nachwuchs aufpasst“, sagt Niklas Mascher, selbst zweifacher Vater. Für diese Leute ist das SLF künftig der richtige Anlaufpunkt im Kiez.

SLF, Pappelallee 65, Prenzlauer Berg, Beginn: 0 Uhr, Eintritt: 8 Euro

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