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Berlin: Zur Debatte über die Einführung von Religion als Wahlpflichtfach - wie Schulen den Lehrplan erfüllen

Sich bequem hinsetzen. Die Augen zumachen.

Sich bequem hinsetzen. Die Augen zumachen. Den Gong hören. In der Schulhektik zur Ruhe kommen. Zuhören, was Marlene Gschwendtner vorliest. Heute ist es kein Gedicht oder keine Geschichte, sondern ein Vers aus der Bibel. Es geht um "die Hütte Gottes", um Tränen und Leid, die es nicht mehr geben wird. "Das Erste ist vergangen, und es wird alles neu", sagt die Religionslehrerin. Dann ertönt der Klangschalen-Gong, und alle können die Augen wieder öffnen.

Wir sind zu Gast im Religionsunterricht von 7. Klassen in der Schöneberger Sophie-Scholl-Gesamtschule. Schulsenator Klaus Böger (SPD) denkt, wie berichtet, über ein Wahlpflichtfach Religion sowie alternativ Ethik / Philosophie nach. Was machen die Schüler in Religion eigentlich, und wie denken Religionslehrer über die bildungspolitische Initiative des Senators? "In Religion haben wir schon über Indianer gesprochen", erzählt die 13-jährige Leonore. Über Indianer? Frau Gschwendtner will die Augen öffnen auch für andere Glaubensansätze, "für Naturreligionen, das Lebensverständnis der Menschen damals".

Wenn das Fach zur Pflicht würde und die Noten auf dem normalen Zeugnis erschienen, wäre für philosophische Ansätze weniger Platz, meint die Lehrerin. Überhaupt widerstrebt ihr die Idee, alle Schüler verpflichtend in den Unterricht zu schicken. "Das wär wie der Tod im Topf. Da könnte sich nichts mehr entwickeln." Es sei ein "Irrglaube, dass sich alle gesellschaftlich-moralischen Probleme von selbst lösen". Schulleiter Rainer von Paris weiß von Erfahrungen aus anderen Bundesländern, "da stehen Kollegen vor einer ganzen Klasse, und die meisten Schüler haben überhaupt keine Lust auf Religion".

Oft werden in den zwei Stunden pro Woche ohne Leistungsdruck persönliche Dinge diskutiert, Probleme besprochen, sagt Frau Gschwendtner. "Da ist die Atmosphäre fast wichtiger als die Unterrichtsthemen", so die Einschätzung der Lehrerin.

Die 48-jährige Lehrerin überlegt mit ihren Schülern sogar, ob sie auf die Extra-Religionszeugnisse verzichtet. "Au ja, dann kriegen wir Eis als Belohnung", sagt die 12-jährige Katharina, und Marc pflichtet ihr bei: "Für eine Eins eine Kugel, für eine Zwei zwei und so weiter." Dabei fallen die Schülerbeurteilungen selten schlechter aus als befriedigend. Wäre das nicht klasse, gute Zensuren ins Abitur einbringen zu können? "Nö", befindet Leonore, "dann kann man nicht mehr so locker mitarbeiten." Und Marc meint: "Manchmal lesen wir ein Buch und sprechen darüber, wie soll man denn dafür Zensuren bekommen?" Mit den Jüngeren liest die Lehrerin nicht unbedingt Bibeltexte, mit den Älteren ließen sie sich leichter diskutieren. In der 7. Klasse wählt rund ein Viertel der 220 Scholl-Schüler freiwillig Religion, in der 10. Klasse sind es noch zehn Prozent. Mit den Älteren macht Marlene Gschwendtner sogar am Wochenende Unterricht, "da ging es zuletzt um Freundschaft und Liebe". Erstaunlicherweise entscheiden sich sogar Schüler für den Unterricht, "die sich ausdrücklich als Atheisten bezeichnen". Auf die Frage, wer in der Runde an Gott glaubt, meldet sich kein einziges Kind. "Aber Spaß macht Religion trotzdem", sagt Marc.

Wenn nun, wie Böger prüft, auch den muslimischen Schülern "unser christliches Weltbild übergestülpt wird - das geht nicht", meint die Pädagogin. "Im Grunde hat doch jede Religion den gleichen Kern: Man soll die Sicherheit in sich selbst finden, zur Ganzheit gelangen." Und zur inneren Ruhe finden - zum Beispiel mit dem Gong, selbst in einem Klassenraum.

Annette Kögel

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