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Berlin: Zurück in die Zukunft

Die neue Kammergerichtspräsidentin Monika Nöhre trifft auf Zustände aus einer anderen Zeit – und muss modernisieren

Von Fatina Keilani

Die Frau ist eine echte Dame. Draußen ist ein heißer Sommertag, auf den Wiesen am Kammergericht liegen Menschen im Bikini. Monika Nöhre, ein Import aus Hamburg, trägt Feinstrumpfhosen unterm grauen Kostüm, ganz alte Schule. Auch sonst ist der erste Eindruck geprägt von Stil nach Hanseaten-Art: Dezenz. Perlenkette, passende Ohrringe, schlichter Goldreif am Handgelenk, zurückhaltendes Make-up, Brille mit Goldrand. Das klingt vielleicht ältlich, wirkt aber nicht so: Da sind ja noch der Lidstrich und der fast verwegene Schlitz im Rock.

Monika Nöhre, 52 Jahre alt, parteilos, ist seit dem 1. August Präsidentin des Kammergerichts. Beim Sommerfest der Berliner SPD schwärmte Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) von dem guten Griff, den sie da getan habe – Frau Nöhre sei die Idealbesetzung für den Job. Tolle Frau, vergleichsweise jung für den Posten, modernisierungserprobt und mit sportlicher Mentalität. Freiwillig habe sie sich noch dem Assessment Center unterzogen, einem Auswahltest, obwohl man sich längst für sie entschieden hatte – so konnte ihr niemand nachsagen, sie hätte sich gedrückt. Sie hatte dann auch das beste Ergebnis. Auch Frau Nöhre ist begeistert: „Ich bin im Richterhimmel angekommen.“

Was macht eine Kammergerichtspräsidentin? Sie leitet das höchste ordentliche Berliner Gericht – es entspricht den Oberlandesgerichten in anderen Bundesländern – mit 120 Richtern und 260 weiteren Mitarbeitern. Außerdem hat sie die Dienstaufsicht über die übrigen ordentlichen Gerichte, also das Landgericht und zwölf Amtsgerichte. Das bedeutet Verantwortung für über 1000 Richter, 4500 weitere Mitarbeiter und 2000 Referendare und Auszubildende.

In der Stellenausschreibung hieß es sinngemäß, wer die Stelle bekommt, soll den Laden auf heutigen Stand bringen. Im Amtsdeutsch: „Hierzu zählt die Einführung eines modernen verwaltungs- und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen entsprechenden Führungs- und Steuerungswesens, die Umgestaltung überkommener Gerichtsstrukturen, die Entwicklung eines innovativen Budgetierungs-Systems, die Verstärkung der Bürgerorientierung, eine intensivierte Personalentwicklung und eine methodische und kooperative Mitarbeiterführung.“ Das sind viele -ungs auf einmal, die Frau Nöhre da vor sich hat. Aber sie macht das nicht zum ersten Mal. In Hamburg hat sie vor sechs Jahren die Justizreform verantwortet, und da machte sie das, was auch in Berlin verlangt wird. Alle Abläufe wurden schneller, schlanker, es gibt jetzt ein Controlling und ein Gerichtsmanagement. In Berlin gibt es nicht einmal Computer, Frau Nöhre muss also ganz von vorne beginnen. Die Akten sind wochenlang auf dem Handwägelchen unterwegs, in der Geschäftsstelle steht noch die mechanische Schreibmaschine, und Briefe erreichen den Richter schneller als Faxe, weil Faxe erst mit dem Wägelchen vom Standort des Faxgeräts durchs Gebäude gebracht werden müssen – Zustände aus einer anderen Zeit.

Auf die Frage, ob Berlin wieder einmal hinterherhinke, sagt Nöhre diplomatisch: „Ach, nein, Hamburg war damals führend.“ Als wolle sie nicht, dass die Berliner sich schlecht fühlen deswegen. Diese Art scheint ihr Erfolgsgeheimnis zu sein. Auch wenn am Ende die Leistung zählt, das Wie macht viel aus. Sie gibt niemandem ein schlechtes Gefühl. Ihre Art, nicht offensiv oder gar konfrontativ etwas zu verlangen, sondern als selbstverständlich vorzuleben, das Beste zu geben, bezwingt wahrscheinlich jeden, und wer sich nicht wie ein Raubein vorkommen möchte, wird es versuchen, nachzumachen.

Frau Nöhre hat in Hamburg unter anderem das Justizprüfungsamt geleitet, noch im Juli nahm sie Referendaren das zweite Staatsexamen ab. War sie eine harte Prüferin? „Ich habe mich immer bemüht, eine angenehme, konstruktive Atmosphäre zu schaffen“, sagt sie. Und, entschärft durch ein offenes Lächeln: „Aber Leistung habe ich schon verlangt.“ Von sich und von anderen. Sie selbst bekam kurz vor dem zweiten Staatsexamen einen Sohn und schaffte trotzdem die rare Traumnote „gut“. Dazu sagt sie nicht: Ja, das war anstrengend, sondern: „Mein Mann hat mich immer viel unterstützt.“ Derselbe Mann, ein Informatik-Ingenieur, sitzt im gleichen Moment in der Wilmersdorfer Wohnung seiner Frau und baut die Möbel auf.

Seine Gattin sorgt unterdessen dafür, dass bei der Modernisierung der Berliner Justiz keine Anfängerfehler gemacht werden. Und übt den ihr bekannten Spagat: „Man muss sich vor den Modernisierungsprozess und hinter die eigenen Leute stellen.“

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