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Zwangsheirat: Angst vor der eigenen Familie

Immer mehr junge Frauen suchen Hilfe bei Berliner Hilfsorganisationen, weil sie gegen ihren Willen verheiratet werden sollen. Die Dunkelziffer bei Zwangsehen ist hoch.

Von Sabine Beikler

Immer mehr junge Frauen, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollen oder aus einer Zwangsehe ausbrechen wollen, wenden sich in Berlin an Hilfsorganisationen. Das registriert nicht nur, wie berichtet, der Verein „Hatun und Can“. Auch der Mädchennotdienst verzeichnet eine Zunahme: Im Vorjahr hatte er Kenntnis von 40 Fällen drohender Zwangsehen. Doch schon im ersten Halbjahr 2008 waren es 32 Fälle, sagt der Leiter des Jugendnotdienstes, Andreas Neumann-Witt. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke) fordert deshalb eine bessere Vernetzung der Beratungseinrichtungen. „Und Kürzungen bei den Projekten darf es nicht geben“, sagte sie dem Tagesspiegel. Der Senat finanziert aktuell mit sechs Millionen Euro Frauenprojekte im Antigewaltbereich.

Die Frauenpolitikerinnen Evrim Baba (Linke) und Canan Bayram (SPD) wollen sich bei den Haushaltsberatungen ebenfalls dafür einsetzen, dass es keine Kürzungen geben wird. Der seit 22 Jahren anonym und geheim arbeitende Verein „Papatya“ für junge Migrantinnen arbeitet schon jetzt nicht mehr kostendeckend. Statt der 340 000 Euro im Etat bräuchte der Verein nach eigenen Angaben 400 000 Euro. „Allein im ersten Halbjahr 2008 hatten wir 250 Beratungen“, sagt eine Mitarbeiterin. „Papatya“ hatte 2008 rund 65 Mädchen aufgenommen, die Hälfte davon war von Zwangsheirat bedroht. In Berlin soll es offiziellen Zahlen zufolge rund 300 Zwangsehen geben. „Papatya“ geht allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer etwa zehnmal so hoch ist.

Nach Einschätzung von Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg steigen die Zahlen auch deswegen, weil das Thema auch in den türkischen Blättern behandelt wird und junge Migrantinnen selbstbewusster seien.

Wie berichtet, bekam der Frauennothilfe-Verein von ehrenamtlichen Helfern, „Hatun und Can“, in diesem Jahr 1200 Anfragen zumeist per Mail – dahinter verbergen sich rund 2000 Menschen in höchster Not: Frauen, Schwestern, Kinder, auch von der Familie nicht geduldete Freunde. Ihnen helfen Freiwillige sofort und geheim mit Geld, unterstützen sie bei Behördengängen, begleiten sie beim Untertauchen ins Ausland. Bei den Migrantinnen von „Hatun und Can“ melden sich jetzt immer mehr Mädchen, die nicht wagen, zu offiziellen Behörden oder zur Polizei zu gehen.

„Berlin braucht viel mehr solcher niedrigschwelligen Hilfen, und der Senat soll eine Förderung des Vereins prüfen“, fordert die migrationspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Bilkay Öney. Zudem müssten Familien und Männer besser aufgeklärt werden. Wie Rechtshelfer Andreas Becker von „Hatun und Can“ auf Anfrage mitteilte, wird der auf Spendenbasis arbeitende Verein vom Finanzamt und vom Steuerberater kontrolliert. Auch der Tagesspiegel hatte den Verein bei seiner vergangenen Spendenaktion mit 8000 Euro unterstützt. Weil sich viele der Mädchen aus Angst vor Familienrache nicht zur Polizei trauten, plädiert Becker dafür, eine spezielle Notrufnummer in Berlin einzurichten.

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