zum Hauptinhalt
Joseph Roth, hochtalentierter österreichischer Schriftsteller.

© cambridgeforecast.wordpress.com/2006/09

Zwanziger Jahre, Berlin Babylon: "Rechts und links" von Joseph Roth

Joseph Roths neuer Roman ist ein Buch der Stunde. Rezension vom Dienstag, den 1. Oktober 1929.

Von Markus Hesselmann

Anlässlich des Serienstarts von "Babylon Berlin" haben wir ein Gedankenexperiment gewagt und Artikel aus der damaligen Sicht verfasst. Dabei fiel uns auf: Viele Themen - Wohnungsnot, Ärger um den Flughafen, wilde Partynächte, politischer Extremismus - stehen 1929 wie heute für Berlin. Hier eine Literaturkritik, wie sie in jenem Jahr hätte erscheinen können.

Dieses Buch habe eigentlich „Der jüngere Bruder“ heißen sollen, wird in den Kaffeehäusern Berlins kolportiert. Das „Milieu der Rathenau-Mörder“ habe Joseph Roth darstellen wollen. Wer nun vom tatsächlichen Titel „Rechts und Links“ her eine politisch-literarische Aufarbeitung gegenwärtiger und jüngst vergangener Vorfälle erwartet, dürfte bei der Lektüre enttäuscht sein, wird aber durch umfassendere Einsichten mehr als entschädigt.

Joseph Roths neues Buch, soeben erschienen im Gustav Kiepenheuer Verlag.
Joseph Roths neues Buch, soeben erschienen im Gustav Kiepenheuer Verlag.

© promo

Nicht Individuum und Handlung, sondern Typologie und Muster fordert Erik Reger, ein anderer Protagonist der Neuen Sachlichkeit, dem noch einiges zuzutrauen ist, von der Gegenwartsliteratur, damit sie aufklärerisch wirken kann. Joseph Roths Muster ist das Unstete. „Wie viel bist du? Bist du einer?“, sagt Nikolai Brandeis, jüdischer Selfmade-Man und Hauptfigur. „Ich bin zehn!“ Was seine Stärke ist, ist die Schwäche der von ihm protegierten Brüder Paul und Theodor Bernheim, deren politische Biografien von ganz links bis ganz rechts changieren. „Wir werden keinen Krieg mehr verlieren“, ruft Theodor, der jüngere, völkische, als Journalist tätige Bruder. Und keinen mehr gewinnen, mag man ihm antworten. Doch die Ahnung des Nikolai Brandeis, dass die schwächlichen, in ihrer Opferhaltung zerstörerischen Kräfte sich durchsetzen könnten, ist eine Ahnung, die inzwischen viele teilen.

Stefan Zweig nennt Joseph Roth in einer soeben erschienenen Rezension eines „der stärksten prosaischen Talente, die in den letzten Jahren neu zu uns kamen“. Gut vorstellbar, dass sich Joseph Roth als Schriftsteller noch neu erfinden wird, ähnlich wie dies sein Nikolai Brandeis in „Rechts und Links“ tut.

Weitere Artikel zum Thema "Zwanziger Jahre in Berlin" finden Sie hier.

Zur Startseite