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Gefragter Mann. Richard von Weizsäcker zu Gast bei einer Tagesspiegel-Veranstaltung.

© Thilo Rückeis

Zwei Politiker aus Berlin blicken zurück: Schwarz-grüne Erinnerung an Richard von Weizsäcker

Sie haben mit Richard von Weizsäcker als Regierendem Bürgermeister Berlins zusammengearbeitet: Eberhard Diepgen von der CDU und Wolfgang Wieland von den Grünen. Beide erinnern sich hier an den kürzlich verstorbenen Politiker.

Ein erfülltes Leben ist erloschen. Im Weihnachtsgruß schrieb mir Richard von Weizsäcker, im Alter werde es mühselig. Die Berliner werden voller Dankbarkeit an ihren Regierenden denken. Sie haben ihm auch verziehen, dass es ihn nach noch nicht einmal drei Jahren in die Villa Hammerschmidt, den damaligen Sitz des Bundespräsidenten, zog. Auch in diesen Tagen wurde ich wieder gefragt: Musste das sein, mussten die Berliner bei allem Bekenntnis zu dieser Stadt mit diesem Schritt „nach Bonn“ rechnen? In der Partei Stellvertreter des CDU-Landesvorsitzenden von Weizsäcker und auch „sein“ Vorsitzender der Fraktion im Abgeordnetenhaus, war ich zu dem Versuch verdammt, ihn von seinem Plan abzubringen.

Schnell musste ich begreifen, das Amt des obersten Repräsentanten unserer Republik gehörte zu seinen Lebenszielen, auch gegen Kohl, auch gegen die Chefredakteure der Berliner Zeitungen. Für mich als möglichem Nachfolger in Berlin führte das zu einem Balanceakt zwischen Loyalität zu meinem Regierenden und den Forderungen vieler Berliner. Aber der Griff zum „Amt in Bonn“ – ich benutze den Begriff aus längst vergangenen Zeiten – erwies sich als Glücksfall, für die Republik und auch für Berlin.

Der Nachfolger. Eberhard Diepgen (CDU) wurde 1984 Regierender Bürgermeister. Er blieb es – mit zweijähriger Unterbrechung – bis 2001.
Der Nachfolger. Eberhard Diepgen (CDU) wurde 1984 Regierender Bürgermeister. Er blieb es – mit zweijähriger Unterbrechung – bis 2001.

© dpa/Robert Schlesinger

Wichtige Mission erfüllt

Ich wage die Behauptung: Der Regierende hatte seine wichtige Mission in Berlin erfüllt. Er hat der Stadt nach Irrungen und Wirrungen in der notwendigen Standortbestimmung nach dem Viermächteabkommen, der Behauptung von angeblicher Normalität in der Viersektorenstadt, neues Selbstbewusstsein eingehaucht. Das konnte er kraft seiner Persönlichkeit und einer von ihm rekrutierten Mannschaft aus der gesamten Bundesrepublik. Er verordnete erfolgreich Mut für die Zukunft einer eingemauerten Stadt.

Nicht verlängerte Werkbank, technische Innovationen und Exportorientierung waren das Credo, dass trotz der Einschränkungen durch den Viermächtestatus in den Vordergrund rückte. Nicht der Ruf nach fürsorglicher Unterstützung, Hilfe zur Selbsthilfe wurde zur Leitlinie der Sozialpolitik. Und mit Hanna-Renate Laurien Fordern und Fördern zur selbstverständlichen Grundlage von Inhalt und Organisation der Schulen. In meiner Erinnerung waren es Jahre voller neuer Ideen. Richard von Weizsäcker ließ seiner Mannschaft dafür den Raum, ließ kein Rütteln am Ziel der Wiedervereinigung zu und stritt mit den westlichen Alliierten um „seinen“ Handlungsspielraum beim Umgang mit den Mächtigen der DDR. Zu Honecker fuhr er in dessen Ost-Berliner Residenz – auch ich war irritiert über einen statusrechtlichen Tabubruch. Als Nachfolger im Amt des Regierenden konnte ich davon profitieren und meinen Handlungsspielraum in Gesprächen um Besucherregelungen für die West-Berliner oder den Gebietsaustausch gegenüber den damaligen Schutzmächten ausbauen.

Psychologische Wende in West-Berlin

Mit Richard von Weizsäcker ist die psychologische Wende der West-Berliner Politik der 80er Jahre verbunden. Hart umkämpft war die Politik rund um die in Kreuzberg besetzten Häuser. Zu der Berliner Gesellschaft gehörte auch eine aus dem Westen zugewanderte bundesdeutsche Fundamentalopposition samt Wehrdienstverweigerern. Von den Diskussionen zwischen rechtsstaatlichen Regeln und dem Versuchen zu einvernehmlichen Lösungen psychisch überfordert, floh ein Bausenator aus dem Amt. Aber die Zahl der besetzten Häuser schrumpfte. Es wurde oft die Behauptung aufgestellt, der Regierende interessiere sich nicht wirklich für die „Niederungen“ der Kommunalpolitik. Sicher, er wusste zu unterscheiden zwischen den Dingen, die er selbst machen oder anderen überlassen wollte und konnte. Aber wenn etwas nicht richtig lief, mussten die Verantwortlichen mit energischer Intervention rechnen. Der deutlich ausgestreckte Zeigefinger begleitete seine Argumentation. Da war einer, der überzeugen und führen wollte.

Eine moralische Instanz

Wer will heute auf die Rede verzichten, die Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 nur als Bundespräsident halten konnte. Mir erscheint es manchmal, als ob seine gesamte Laufbahn – der Kriegsteilnehmer, der angehende Jurist, der seinen Vater im Nürnberger Prozess verteidigte, das Engagement in der Kirche und die in seiner Partei umstrittene Position zur Ostpolitik Willy Brandts – auf diesen Tag ausgerichtet war. Als Bundespräsident wurde Richard von Weizsäcker eine moralische Instanz. Ich unterstreiche die These von seiner großen Liberalität. Sie wurde aber leider oft oberflächlich gedeutet und missbraucht. Mich hat immer überzeugt, dass seine liberale Grundeinstellung weit entfernt war von der heute grassierenden Beliebigkeit. Tolerant kann nur sein, wer auch eine eigene Meinung hat.

Und die Treue zu Berlin? Es war ein Glücksfall, dass nach dem Fall der Mauer kein Vertreter – die vereinfachte Darstellung ist Folge meiner Erlebnisse nach 1990 – der Rheinbundrepublik im Palais Schaumburg residierte. Richard von Weizsäcker war mit Wolfgang Schäuble wichtiger Motor für die Hauptstadtentscheidungen zugunsten Berlins. Er verlegte seinen (ersten) Dienstsitz ins Schloss Bellevue. Er beteiligte sich engagiert an den Diskussionen und ich erinnere mich gerne an häufige Abstimmungen zu Strategie und Taktik dieser Auseinandersetzungen, die an die Glaubwürdigkeit bundesdeutscher Politik über viele Jahrzehnte rührte.

Schon im letzten Jahr vermisste ich mehr und mehr den erhobenen Zeigefinger des Altbundespräsidenten. Ich bin sicher: An manche seiner Interventionen werden wir uns noch oft gerne erinnern.

So blickt Wolfgang Wieland auf Richard von Weizsäcker zurück

Gemeinsamer Arbeitsplatz. Im Rathaus Schöneberg saßen Richard von Weizsäcker, Eberhard Diepgen und Wolfgang Wieland im Parlament.
Gemeinsamer Arbeitsplatz. Im Rathaus Schöneberg saßen Richard von Weizsäcker, Eberhard Diepgen und Wolfgang Wieland im Parlament.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Annäherungen zwischen Richard von Weizsäcker und der Alternativen Liste fanden so statt wie unser damaliges Wappentier, der Igel, sprichwörtlich Liebe macht: sehr behutsam.

Es war ausgerechnet der Altkommunarde und Bürgerschreck Dieter Kunzelmann, der im Wahlkampf 1979 aus dem „Haus der Kirche“ Furchterregendes zu verkünden hatte. Die CDU setze da einen Spitzenkandidaten auf das Podium – den in Berlin bis dahin weitgehend unbekannten Richard von Weizsäcker. Und der überrage das übliche Berliner Politmilieu um Längen – auch uns selber. Da waren Zweifel und Spott angesagt. Wer ließ sich denn anheuern von einer CDU in Berlin, der ewigen zweiten Geige, von uns geortet zwischen Kaltem Krieg und Berufsverbot, zwischen Schrebergarten und Maklerbüro? Der konnte doch wohl keine ganz so große Nummer sein.

Der Widerpart. Wolfgang Wieland war Mitbegründer der Alternativen Liste. Später war er Berliner Fraktionschef und Bundestagspolitiker der Grünen.
Der Widerpart. Wolfgang Wieland war Mitbegründer der Alternativen Liste. Später war er Berliner Fraktionschef und Bundestagspolitiker der Grünen.

© Mike Wolff

Dann scheiterte von Weizsäcker in seinem ersten Anlauf ebenso wie wir, die AL. Als Verlierer fühlten sich beide Seiten nicht und schon nach zwei Jahren traf man sich wieder. Nun sammelten sowohl die CDU als auch wir Unterschriften für das Bürgerbegehren zur Auflösung des Abgeordnetenhauses. Von Weizsäcker hatte keine Berührungsängste und unterschrieb bei uns auf dem Wochenmarkt vor dem Schöneberger Rathaus. Das war damals eine kleine Sensation. Hatte doch schließlich die AL der „etablierten Politik“ den Krieg erklärt und gefiel sich in der Rolle des Parias im Politikbetrieb.

Hans-Jochen Vogel konnte die SPD nicht retten

Der Zerfall des nach der Garski-Affäre nicht mehr handlungsfähigen Stobbe-Senats wurde forciert. Das Intermezzo von Hans-Jochen Vogel konnte die SPD nicht retten. Die Stadt hatte die SPD-Filzokratie satt. Die Neuwahl brachte von Weizsäcker auf den Stuhl des Regierenden Bürgermeisters und die AL erstmals ins Parlament. Konnte man von einer neuen Fraktion, die als Erstes erklärte, sie lehne jede Geschäftsordnung als Herrschaftsinstrument ab, erwarten, dass sie das neue Moment in der Berliner Politik erkannte? Einen vergleichbaren Senat mit Norbert Blüm, Hanna-Renate Laurien, Elmar Pieroth, Volker Hassemer, Ulf Fink, Rupert Scholz und anderen hat Berlin vorher nur zu Zeiten Willy Brandts und danach nie wieder gesehen. Ein aktueller Vergleich verbietet sich von selbst.

Von Weizsäcker stellte Weichen in unserem Sinne. Hassemer wurde der erste selbstständige Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, auch als Gegengewicht zu dem traditionell der Betonlobby verpflichteten Bausenator. Die Integration der Immigranten wurde als Aufgabe erkannt, ein Ausschuss für Ausländerfragen eingerichtet. Dort schickte die CDU ausdrücklich keine Innenexperten hin, sondern Sozialpolitiker. Schließlich wurde Barbara John die erste Ausländerbeauftragte Deutschlands. Zusammen mit Hans-Jochen Vogel wurden Berliner Friedensgespräche im Rathaus geführt, mit Beteiligten aus und um die Hausbesetzerbewegung. Es war die Form eines gesellschaftlichen Dialoges, ein runder Tisch, ohne dass es diesen Begriff schon gab. Die Voraussetzungen für eine Lösung dieses beherrschenden Problems wurden hier geschaffen. Und es menschelte auch. Als er nach einer Plenarsitzung unserer Fraktionsvorsitzenden half, ihre Handtasche zu suchen, erklärte diese sich zum ersten alternativen Fan von Richard von Weizsäcker.

Heinrich Lummer war der Mann fürs Grobe

Da hätte das geschehen können, was Politiker am meisten fürchten, nämlich dass das eigene Welt- und Feindbild ins Wanken gerät. Dass es hierzu nicht kam, lag vor allem am Innensenator Heinrich Lummer. Sein Spitzname „Heinrich fürs Grobe“ deutete auf die Arbeitsteilung in der Regierung hin. Der setzte sein Motto „Immer feste druff“ aus den Zeiten der Studentenbewegung gegenüber den Hausbesetzern um. Er blieb so das Idol von Schultheiß-Berlin und des größten Teils der CDU-Basis. Daran konnten nicht einmal Affären wie die Stasi-Liebschaft in Ost-Berlin oder eine Geldspende an die NPD etwas ändern.

Deshalb bleiben die knapp drei Jahre Regentschaft von Richard von Weizsäcker auch überschattet durch mehrere tragische Todesfälle. Hans-Jürgen Rattey geriet nach einer Häuserräumung unter einen BVG-Bus, nachdem sich Lummer in Feldherrenpose auf dem Balkon des geräumten Hauses präsentiert hatte.

Der anerkannte Asylberechtigte Cemal Kemal Altun starb am 30. August 1983 nach einem Sprung aus dem sechsten Stock des Oberverwaltungsgerichtes. Trotz seiner Asylanerkennung hielt die Bundesregierung an einer Auslieferung an die türkische Militärjunta fest. In der darauf folgenden Neujahrsnacht verbrannten sechs Abschiebehäftlinge im Gewahrsam Augustaplatz, wo 42 Häftlinge in vier käfigartigen Zellen zusammengepfercht waren. Kirchengemeinden sahen sich erstmals genötigt, Flüchtlinge unterzubringen. Auf ihre Frage, was eigentlich der Regierende Bürgermeister zu all dem sage, lautete die selbst gegebene Antwort: Er entschwebt gerade. In Richtung Bundespräsidialamt.

Kunzelmann fragte den Senat, ob der Regierende Bürgermeister den Job des Bundespräsidenten ansteuere. Die Antwort echauffierte sich an dem Umstand, dass der Senat das Amt des Bundespräsidenten keinesfalls als Job sehe. Schließlich gab es das CDU-Schauspiel: Vater (von Weizsäcker) geht, Mutter (Laurien) bleibt und Sohnematz (Diepgen) macht das Rennen. Da schien uns alles auf null, auf Vor-von-Weizsäcker, gestellt.

Eberhard Diepgen, Wolfgang Wieland

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