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Berlin: Zweifel an der Angeklagten

Prozess um getötetes Neugeborenes im Baumarkt: Psychiatrischer Gutachter glaubt, dass Nadine T. von Schwangerschaft wusste

Die ganze Familie weint. Vorne sitzt die jüngste Tochter auf der Anklagebank, schaut traurig auf ihren Ex-Freund, während sich hinten auf der Zuschauerbank Vater, Mutter und Schwester gegenseitig trösten. „Es war eine sehr schöne Beziehung“, sagt Paul H. da gerade mit ruhiger Stimme. 26 Jahre ist er alt, arbeitet als Barkeeper im Adlon, trägt Jeans, Pullover und Hemd, kurze Haare, hat ein nettes Gesicht – und wirkt wie der perfekte Schwiegersohn. Doch als Paul H. im vergangenen November erfuhr, dass er gerade Vater geworden war, waren Nadine T. und er schon seit acht Monaten getrennt. Die Nachricht kam für ihn wie „aus dem Nichts“, und Nadine T. konnte es nicht richtig erklären. „Sie sagte: Ich wusste nichts davon. Es war für mich auch ein Schock.“

Es gibt nicht viele im Gerichtssaal, die Nadine T. das glauben. Der Staatsanwalt ist überzeugt, dass die 23-Jährige ihre Schwangerschaft verheimlichte und ihr Neugeborenes töten wollte, nachdem sie es am 11. November 2006 auf der Toilette eines Baumarkts, wo sie im Backshop arbeitete, zur Welt gebracht hatte. Feuerwehrleute fanden das Baby mit Schädelfrakturen im Toilettenbecken; es überlebte nur elf Tage. „Die Verletzungen wurden durch eine sehr massive, stumpfe Gewalteinwirkung hervorgerufen“, sagt der Gerichtsmediziner. Der psychiatrische Gutachter, der sich im Gefängnis sechs Stunden lang mit Nadine T. unterhalten hatte, hegt ebenfalls Zweifel an der Version der Angeklagten. Auch, wenn er Nadine T. als „reifeverzögerte, sehr kindlich wirkende Frau“ erlebt hat. „Ich glaube, dass sie von der Schwangerschaft wusste“, sagt Alexander Böhle. In ihrer Familie – die Mutter Apothekenhelferin, der Vater Gebäudereiniger – sei Nadine T. das „Nesthäkchen“ gewesen, die eher verzogen als erzogen und auch später nie richtig erwachsen wurde. Eineinhalb Jahre war Nadine T. mit Paul H. zusammen, sie unternahmen viel mit ihren Familien, wollten „irgendwann“ auch selbst Kinder haben, doch die Beziehung habe sehr an ihren unterschiedlichen Arbeitszeiten gelitten. Im März war dann endgültig Schluss.

Nadine T. sagte am ersten Tag des Prozesses, dass sie ihre Schwangerschaft komplett verdrängt habe und von der Geburt auf der Toilette überrascht wurde. „Ich habe geglaubt: Ich bin nicht schwanger, ich kann nicht schwanger sein!“ Dass die junge Frau immer dicker wurde, Schmerzen im Unterleib hatte, ständig von Eltern, Kollegen und Freunden auf ihren Bauch angesprochen wurde – all das habe sie nicht an sich herangelassen. Der Gutachter aber sagt, dass Nadine T. es spätestens seit Sommer wusste – aber die Dinge einfach geschehen ließ: „Die Schwangerschaft war ein riesiger, innerer Konflikt.“

Nur Nadine T. weiß, was auf der Personaltoilette des Baumarkts wirklich geschah, weshalb der Junge so massive Kopfverletzungen aufwies. Der Gutachter glaubt, dass die junge Verkäuferin bei der Geburt in blinde Panik verfallen war und einen „extrem hohen Angstpegel“ hatte. Er könne deshalb nicht ausschließen, dass Nadine T. vermindert schuldfähig war. Das Urteil wird am Dienstag erwartet.

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