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Berlin: Zwischen die Fronten geraten

Berliner Familie wollte im Libanon Urlaub machen. Der Vater starb, seine Kinder werden jetzt im Klinikum Marzahn behandelt

Die Gedanken, sie kreisen. Immer wieder kommen Imad S. die Bilder vom vergangenen Sonntag in den Kopf: Der Raketeneinschlag auf der Motorhaube des Autos, die Druckwelle, die Glassplitter und seine Familie, die im Auto umhergeschleudert wurde. Alles sei ihm wie in Zeitlupe vorgekommen, als er seine Verwandten aus dem Auto zog, bevor es in Flammen aufging, sagt der 21-Jährige. Die Familie, im Urlaub in ihrem libanesischen Heimatdorf Mansori, war auf der Flucht zur Hafenstadt Tyrus, um von dort mit einer Fähre nach Zypern zu gelangen. Bei dem Angriff sind Imads Onkel und ein Fahrer ums Leben gekommen.

Der Angriff machte Imads Tante zur Witwe. Seit Mittwochabend ist sie mit ihren fünf Kindern im Unfallkrankenhaus Marzahn (UKB), Deutschlands größtem Zentrum für Brandverletzungen. Mit einer vom Auswärtigen Amt gecharterten Fähre war die Familie S., die mit einer Aufenthaltsgenehmigung in Berlin lebt, mit 226 anderen Flüchtlingen nach Lanarka auf Zypern gebracht worden. Von dort wurde die Familie dann nach Berlin ausgeflogen, wo sie Mittwochabend auf dem Flughafen Tempelhof landete.

Am schwersten verletzt ist Imads neunjähriger Cousin Mahmoud: Er wurde gestern mehrere Stunden operiert und liegt im künstlichen Koma. 15 Prozent seiner Haut sind verbrannt. „Sein Zustand ist stabil, aber wir können keine Entwarnung geben“, sagte eine Klinik-Sprecherin. Auch seine anderen Cousins, Ahmed (15) und Ali (13) haben Brandwunden an Gesicht und Oberschenkeln erlitten. Zudem waren ihre Körper mit Glas- und Metallsplittern übersät. Die linke Hand der sieben Monate alten Mariam ist in einem Verband eingewickelt – auch sie erlitt Verbrennungen. Ebenso wie ihre Mutter Nouhad S.

Am 7. Juli war die in Wedding lebende Familie S. zum Urlaub in ihr Heimatdorf Mansori gereist. „Dann gingen die Angriffe los: Wir waren tagelang in unserem Dorf eingesperrt“, schildert Imad. Dann kam die Nachricht, dass sie für die Flucht in einem UN–Konvoi mitfahren könnten. Doch weil dieser nicht an der verabredeten Stelle bereitgestanden habe, sei die Familie auf eigene Faust mit dem Auto eines Bekannten geflüchtet.

Seit die Familie S. im Unfallkrankenhaus ist, kommen immer wieder libanesisch-stämmige Freunde und Verwandte zu Besuch. In Berlin leben rund 7900 Libanesen. Nach Angaben der Ausländerbehörde kämen in Berlin rund 12 700 Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit hinzu: Zu ihnen gehören libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge, die bereits in den achtziger Jahren nach Berlin kamen – das sind Libanesen, Palästinenser und libanesische Kurden. Knapp 3500 Libanesen in Berlin haben die deutsche Staatsangehörigkeit.

In Krisensituationen wie derzeit im Nahen Osten ist das Auswärtige Amt zuständig, alle deutschen Staatsbürger oder Menschen mit einem gültigen Aufenthaltsrecht in Deutschland aus dem Land zu holen: Seit Beginn des Krieges waren das rund 5800 Menschen; darunter auch viele in Berlin lebende Familien. Angehörige und Freunde hatten tagelang um deren Wohlergehen gebangt. Wie das Auswärtige Amt mitteilte, werde vorerst kein weiteres Schiff mehr gechartert, weil die meisten deutschen Flüchtlinge nun aus dem Krisengebiet herausgebracht wurden. „Jetzt geht es nur noch um Einzelfälle, um die wir uns auf andere Weise kümmern“, hieß es im Auswärtigen Amt.

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