zum Hauptinhalt

Berlin: Zwischen Gräbern lernen

Schüler führen über den Jüdischen Friedhof

Vom Holocaust hat Mirand noch vor einem halben Jahr nichts gewusst. In der neunten Klasse ist der Geschichtslehrplan für Hauptschulen erst bei Kaiser Wilhelm. Und bei ihm zu Hause sei die Nazizeit auch nie Thema gewesen, sagt der 16-Jährige, dessen Eltern aus dem Kosovo stammen. Mittlerweile hat Mirand nicht nur einiges dazugelernt, er kann es auch vermitteln. Seine Klasse, die 9b der Heinz-Brandt-Schule, hat eine einstündige Führung über den Jüdischen Friedhof Weißensee erarbeitet. An neun Stationen stellen die Schüler prominente Persönlichkeiten vor, die auf dem 1880 gegründeten Friedhof begraben liegen, vom Kaufhauszar Hermann Tietz bis zum Hotelier Berthold Kempinski. Zusätzlich informieren sie über kulturelle Schwerpunkte jüdischen Lebens, etwa über den Sabbat oder die Synagogen.

Seit Januar beschäftigen sich Mirand und seine 17 Klassenkameraden mit der Judenverfolgung, wälzen Bücher, sprechen mit Zeitzeugen. Die Studien helfen, diffuse Vorurteile abzubauen, wie die Initiatorin des Projekts, die ehemalige Schulleiterin Karla Werkentin, erklärt. Dass dies wichtig ist, zeigt die Tatsache, dass ein Schüler bei der ersten Besichtigung des Jüdischen Friedhofs ein Hakenkreuz in einen Grabstein ritzte. Er hat sich inzwischen entschuldigt, sowohl bei der Familie als auch bei der Gemeinde. Friedhofsverbot hat er trotzdem. Ein anderer Schüler wurde von dem Projekt ausgeschlossen, weil er „organisiert rechts“ ist.

Die 9b hat nicht nur ihr Geschichtswissen erweitert, sondern auch gelernt zu recherchieren und zu präsentieren. Der Doppelnutzen sei gewollt, sagt Lehrerin Annette Harney. In Kooperation mit dem pädagogischen Fortbildungsinstitut FiPP e. V. wird die Wachstumsbrache Stadttourismus zum berufspraktischen Lernfeld – vielleicht sogar zur Perspektive. Friedrich Christian Flick, dessen Stiftung das Projekt mitfinanziert, lobt die Initiative: „Man merkt, dass sie voll dahinterstehen.“ Neben Flick war auch der mit Friedrich Schorlemmer, Monika Griefan und Eberhard von Koerber prominent besetzte Stiftungsrat bei der Projektvorstellung in der Hauptschule zugegen. Morgen ist Premiere. Eine Klasse aus Baden-Württemberg hat sich angekündigt. Weitere Termine können unter der Telefonnummer 9251208 vereinbart werden.J.O.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false