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Volle Körbe. In den Wäldern mit ihren gut durchfeuchteten Böden sind in dieser Saison besonders viele und prachtvolle Pilze zu finden. Foto: Pleul/dpa

© dpa

Berlin: Zwischen Pfifferlingen und Maronen

Der feuchte Spätsommer beschert den Pilzsammlern eine große Ausbeute

Bei Menschen, denen Zuchtchampignons aus dem Supermarkt genügen, konnten sich überzeugte Pilzsammler im gerade überstandenen Sommer leicht unbeliebt machen. „Der viele Regen stimmt uns wirklich sehr zufrieden“ – solch ein Satz provozierte leicht verbitterte Reaktionen, aber einer wie Dieter Honstraß, deutschlandweit gefragter Pilzexperte, der auch in Berlin regelmäßig Seminare anbietet, nimmt das in Kauf. „Wasser ist nun mal die wichtigste Nahrung für die Pilze, weshalb es in den Wäldern derzeit richtig sprießt.“ Und nicht erst in traditionell dem Pilzesammeln geweihten Wochen, sondern weit eher als gewohnt.

Doch trotz des Frühstarts der Saison: Erst jetzt geht sie richtig los. „Die Teilnehmer meines Pilzseminars haben in dieser Woche innerhalb kurzer Zeit im Grunewald mehr als 100 Arten gefunden“, freut sich Honstraß. „Wichtig ist, dass der Waldboden zwischen dem Regen immer mal wieder abtrocknen kann. Bei Staunässe dämpfen die Pilze ihr Wachstum.“ Andere Pilzprofis bestätigen den Befund. „Ich habe am Wochenende in der Prignitz sogar vom Auto aus eine Menge Pfifferlinge entdeckt“, erzählt Elisabeth Westphal, die als Ernährungsberaterin und eine der wenigen Berliner Pilzsachverständigen im Auftrag der Grünen Liga regelmäßig Exkursionen anbietet. „Pfifferlinge brauchen möglichst feuchtes Gras und etwas Licht.“ Auch Steinpilze und Maronen sind jetzt vielerorts zu finden, ebenso die an einen Badeschwamm erinnernde Krause Glucke, auch Fette Henne genannt, die vor allem in Kiefernwäldern gedeiht, nach Gummi riecht und wie der Speisemorchel schmeckt.

Und dabei sind Berlin und Brandenburg von der Natur nicht mal begünstigt. So sind in Niedersachsen und Sachsen- Anhalt die Böden weniger sauer als in Berlin und Brandenburg. Die nicht so guten Bodenwertzahlen in den heimischen Wäldern werden aber durch andere Vorteile mehr als wettgemacht. Dank der starken militärischen Präsenz bis 1990 konnten sich viele Wälder in der Berliner Umgebung relativ ungestört entwickeln. Abholzungen hielten sich außerhalb der Schießbahnen in engen Grenzen, so dass die Pilze ihr Geflecht, also das Myzel, ungehindert ausdehnen konnten. Nicht zuletzt deshalb zieht es erfahrene Pilzsammler immer wieder an dieselben Stellen. Pro Jahr dehnen sich die Sporen etwa 60 Zentimeter kreisförmig aus. Wer einmal ein gutes Revier entdeckt hat, kommt immer wieder zu ihm zurück und hält es geheim. Fühlt sich so ein Sammler in seinem „Terrain“ von Fremden verfolgt, wird zum Abschütteln des ungebetenen Pilzfreundes schon mal ein Haken geschlagen.

Insgesamt aber hat hat die Zahl der Pilzsammler abgenommen. Dieter Honstraß sieht hier noch immer eine Nachwirkung der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, auch wenn die damalige Strahlenbelastung jetzt keine Rolle mehr spiele. „Aber die Eltern sind nach dem Unglück nicht mehr mit ihren Kindern am Sonntag in die Pilze gegangen. Daher wurde das Wissen zum Erkennen der Arten und vor allem zum Unterscheiden zwischen essbar und giftig nicht mehr weitergegeben.“ Hilfsmitteln wie Büchern oder Computerbildern steht er skeptisch gegenüber, empfiehlt vielmehr Seminare von Pilzkundlern und geführte Wanderungen, die in Brandenburg regelmäßig von Förstern, Naturwächtern und anderen Experten angeboten werden. Und auch für Pilzfreunde, die unbedingt auf eigene Faust suchen wollen, hat er Tipps bereit: „Prägen Sie sich das Aussehen von ganz wenigen Arten genau ein und gehen Sie dann gezielt auf die Suche.“ Die meisten und schönsten Pilze, so weiß er, wachsen aber nicht nicht entlang der Wege oder auf freien Flächen. „Pilze brauchen kein Licht, dafür aber feuchte Böden.“

Einige vielversprechende Ecken sollte man dennoch meiden. „Es gab schon zahlreiche gewerbliche Sammlergruppen, die selbst den 20 Kilometer langen Elektrozaun übersteigen“, sagt Lothar Lankow von Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide. Dabei riskieren die Sammler nicht nur einen elektrischen Schlag. Auch Begegnungen mit den hier ausgesetzten Wisenten und Wildpferden drohen – von den Blindgängern aus der militärischen Vergangenheit des Geländes ganz zu schweigen. Und diese Gefahr ist nun wirklich keinen Pfifferling wert.

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