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Bodenreformaffäre: Staatsanwälte belasten Kabinett

Ein Bericht zeigt vorsätzliches Handeln des Landes bei der Inbesitznahme von 10.000 Grundstücken: Nach den Erben der Immobilien wurde nur oberflächlich gesucht. Die Landesregierung um Ministerpräsident Matthias Platzeck gerät dadurch in Erklärungsnot.

Das Finanzministerium hat Öffentlichkeit und Parlament nach Bekanntwerden der Affäre nicht korrekt über Hintergründe der vom Bundesgerichtshof als „sittenwidrig“ gerügten Inbesitznahme von 10.000 Bodenreformgrundstücken durch das Land informiert. Das geht aus einem dem Tagesspiegel vorliegenden Vermerk der Potsdamer Staatsanwaltschaft (AZ 430 UJs 20101/06 Wi) vom 7. März 2008 hervor, den der Untersuchungsausschuss des Landtages als Beweismaterial angefordert hat. Danach war dem Finanzministerium 1999/2000 bewusst, dass nur oberflächlich nach Erben der 10.000 Immobilien gesucht wurde, um diese rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist am 2. Oktober 2000 in Landeseigentum zu überführen. Dennoch drängte das Ministerium auf die Landnahme.

Zudem versprach sich Brandenburg, auch das ist dem Vermerk erstmals zu entnehmen, durch Bodenreformflächen ein „Vermögenszuwachspotential von 50 bis 75 Millionen Euro“. Beides ist deshalb brisant, weil das Land bislang eine mangelhafte Erbensuche und Bereicherungsabsichten bei Bodenreform-Immobilien bestritten hat. Vielmehr sei, so hat es das Finanzministerium im Februar erklärt, das Land nach Erben geradezu „umgepflügt“ worden. In eklatantem Widerspruch dazu stehen die Fakten, auf die die Staatsanwälte bei ihren Prüfungen im Finanzministerium stießen, auch wenn sie keine strafrechtliche Relevanz feststellten und deshalb keine Ermittlungen einleiteten.

Das Land konnte, wie berichtet, nur bis 2. Oktober 2000 eigene Ansprüche auf Bodenreformflächen sichern. Voraussetzung war, dass es nachweislich keine berechtigen Erben der Grundstücke gab. Doch mit der Suche danach nahm man es wissentlich nicht genau. „Mit zunehmender Zeitnot vor dem Verjährungseintritt“ sei vielmehr ein „latenter Beschleunigungsdruck aufgebaut“ worden, so der Vermerk. „Hierfür spricht insbesondere der Ausbau der Freistellungserklärungen, in die nachträglich eine Freizeichnung auch für mangelhafte Recherchen aufgenommen worden ist.“ Mit diesen Freistellungserklärungen hatte die Regierung die Landkreise, die massive Bedenken gegen das Vorgehen hatten, von Haftungsrisiken freigestellt. So sei „die Problematik der mangelhaften Recherchen“ Gegenstand einer Besprechung im Finanzministerium am 12. April 2000 gewesen, auf der die Vertreter der Kreise „eingenordet“ wurden, zitiert der Staatsanwalt einen anonymen Teilnehmer. Daraufhin habe das Finanzministerium einen Brief an das Innenministerium geschrieben: „Ich wäre Ihnen daher sehr verbunden, wenn Sie bei den Landkreisen und kreisfreien Städten darauf hinwirken könnten, dass der Prüfungsumfang auf ein Minimum beschränkt wird.“

Im Hinblick auf „die anhaltende Kritik der Landkreise … an der Qualität der Rechercheergebnisse“, so protokollierte der Staatsanwalt weiter, habe das Innenministerium dann angeregt, die vorher allgemeinen „Freizeichnungserklärungen ausdrücklich auf mangelhafte Recherchen zu erweitern“ – was prompt geschah.

Trotzdem blieb das Unbehagen in den Kreisen gegen die Landnahme groß. Teltow-Fläming machte wie berichtet nicht mit, Elbe-Elster intervenierte vergeblich beim Innenministerium, das auf Druck des Finanzministeriums verwies: Es habe keinen Zweifel daran gelassen, „dass auf Grund des fortgeschrittenen Zeitablaufs eine Grundsatzdiskussion nicht mehr geführt werden könne“. Es sei daher „im Wesentlichen ausreichend“, Anträge auf Übereignung lediglich „auf grobe Unrichtigkeiten“ zu prüfen.

Der Untersuchungsausschuss, der die Verantwortlichen für die Landnahme herausfinden will, dürfte den Vermerk der Staatsanwaltschaft mit hohem Interesse lesen. „Er ist von zentraler Bedeutung für die Aufklärung der Affäre. Wir wissen jetzt, wo wir bei den Zeugenvernehmungen den Hebel ansetzen müssen“, prophezeit etwa Ausschussmitglied Dierk Homeyer (CDU).

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