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© dpa

Brandenburg: Rot-Rot: Ein Neuanfang, der alt aussieht

Eine Regierung, die nicht zum Regieren kommt. Seit Wochen geht es in Potsdam nur um die Stasi-Belastung von Linkspolitikern. Am Freitag wird Ministerpräsident Platzeck, der mit seiner Entscheidung für Rot-Rot alle überraschte, endlich Stellung beziehen. Kann er noch etwas retten?

Politik macht manchmal krank. Kerstin Kaiser, Chefin der Linksfraktion im Brandenburger Landtag, ist krank. Johanna Wanka, Chefin der CDU-Fraktion – krank. Der Stress der vergangenen Wochen, die zu den aufregendsten in der Brandenburger Politik seit 1990 gehören, hat den beiden Politikerinnen derart zugesetzt, dass sie an diesem Freitag womöglich gar nicht dabei sind, wenn Ministerpräsident Matthias Platzeck redet. Platzeck, dessen Gesundheit wie ein Stressspiegel ist, war nach der Wahl im September auch schon krank. Für diesen Freitag hat er eine Regierungserklärung angekündigt. Dabei wird in Potsdam gar nicht regiert – die neue rot-rote Koalition kommt nicht dazu. Seit Wochen geht es nur um die Stasi-Belastung von Links- Politikern.

Nur? Platzeck hat mit der Linken einen neuen Anfang machen wollen. Stattdessen sehen ihn manche am Anfang vom Ende. Sven Petke, scharfe Zunge der Brandenburger CDU, erwartet, dass Platzeck „diese Legislaturperiode politisch nicht überleben wird“. Tatsächlich liegt eine nicht bloß wettermäßig düstere Stimmung über dem Landtag auf dem Potsdamer Brauhausberg. Von wegen neuer Anfang, den Platzeck mit gelindem Pathos unter dem Titel „Versöhnung ernst nehmen“ versprochen hatte, um der dritten rot-roten Regierung in einem Bundesland einen zeitgemäßen Überbau zu geben.

Was derzeit in dem abgewohnten Gebäude stattfindet, hat weniger mit Zukunft als mit Vergangenheit zu tun, mit einer Vergangenheit, der sich viele in der Brandenburger Politik bislang nicht stellen wollten – und durchaus nicht nur Mitglieder der Ex-SED-Ex-PDS-Linkspartei. In Brandenburg ist die Politik behutsam umgegangen mit allen, die sich in der DDR dem SED-Regime verpflichtet und eng verbunden haben. Dass hier ein solches „Stasi-Biotop“ entdeckt werde, sei die Folge von Versäumnissen in drei Legislaturperioden, sagt Axel Vogel. Der Chef der Grünen-Fraktion, die es am 27. September in den Landtag geschafft hat, ist ein kleiner Mann mit einem freundlichen Gesicht und – so gehört sich das für Brandenburger Grüne – einem Vollbart. Im schwarzen Samtjackett sitzt er in der Landtagskantine, wo mittags fraktionsübergreifend alle gemeinsam essen, verarbeitet ein Schnitzel und macht durchaus spitze, nicht freundliche Bemerkungen.

Stasi-Biotop? „In Brandenburg konnte man sich sicher sein, egal mit welcher Biografie: Da wird schon nichts passieren“, sagt Vogel. Kein Stasi- Beauftragter kümmerte sich um Stasi-Opfer, in der Polizei und in den Verwaltungen arbeiteten Menschen, die in anderen Bundesländern nach entsprechenden Bescheiden der Stasi-Unterlagen-Behörde nicht hätten bleiben dürfen. Was die rot-rote Koalition jetzt erreiche, sei „die nicht aufgearbeitete Geschichte als Bumerang“, sagt Vogel und lächelt maliziös. Er denkt an die Frühzeit der Brandenburger Grünen, an ihren Ärger mit Manfred Stolpe, dem personifizierten Brandenburger Weg der Versöhnung von Gestern und Morgen unter sozialdemokratischen Vorzeichen, an Marianne Birthler und Günter Nooke, die mit Stolpe brachen – und an Platzeck, der damals „seine weitere Karriere darauf aufgebaut“ habe, „dass er bei Stolpe alle Augen zugedrückt hat“.

Der Mann, der unter Druck steht wie noch nie, nimmt keine öffentlichen Termine wahr an diesem Tag. Seit dem Morgen sitzt Matthias Platzeck in seinem Büro in der Staatskanzlei. Immer wieder geht er den Entwurf der Regierungserklärung durch, von der so viel abhängen wird. Auch dieser Tag bleibt, Stunde um Stunde, zunächst einer der Ungewissheiten für ihn. Für den Abend ist eine Umfrage angekündigt – die erste seit den Stasi-Enthüllungen. Sein Instinkt sagt ihm, dass die SPD, die bei der Landtagswahl mit 33,4 Prozent stärkste Partei wurde, vielleicht weniger stark verliert, als zu vermuten wäre – die Brandenburger sind eigensinnige Leute. Aber gilt das noch? Wer weiß das schon jetzt, wo hier alles in Bewegung geraten scheint, wo in vier Wochen in der „kleinen DDR“ eine Auseinandersetzung mit dem Stasi-Erbe stattfindet wie 19 Jahre zuvor nicht. Den Urlaub, den Matthias Platzeck diese Woche eigentlich nehmen wollte, hatte er wegen der Krise ohnehin abgesagt. Bei seinen spärlichen Auftritten in den letzten Tagen war ihm, dem sensiblen Harmoniemenschen, die Anspannung anzumerken. Er wirkte angegriffen, so dass selbst Genossen, die wissen, dass er nicht der Robusteste ist, sich Sorgen machen. Als er am Dienstag nach der Fraktionssitzung vor die Medien trat, wurde er gefragt, was in ihm vorging, als bei der Bambi-Verleihung in Potsdam der Bürgerrechtler Siegbert Schefke Platzecks Koalition mit Stasi-belasteten Linken vor einem Millionenpublikum anprangerte. Er habe sich schon besser gefühlt, bekannte Platzeck. So sprach einer, der leidet. Immerhin kommt just am Vorabend seines Auftritts noch eine Entwarnung: Rot-Rot hat, trotz allem, immer noch eine klare Mehrheit. 52 Prozent wollen, dass sein Bündnis weiter macht - und das Stasi–Erbe konsequent aufarbeitet. Seine SPD hat leicht verloren, liegt aber mit 31 Prozent immer noch klar vorn, die Linke fällt mit 23 Prozent erstmals seit Jahren hinter die Union zurück, die auf 25 Prozent zulegen kann. Platzeck, der vom Wahlsieger zum Getriebenen wurde, wird das Ganze nun erst Recht durchziehen. Er will die Debatte um die Vergangenheit zu Ende bringen, „bis der letzte erkannt“ ist. „Wir wollten doch, dass alles geklärt wird, dass alles auf den Tisch kommt.“

Die Wiederkehr des Verdrängten könnte in Brandenburg tatsächlich zu einer verspäteten Klärung führen. Da ist sogar der kritische Grüne Axel Vogel nicht so weit weg von Hans-Jürgen Scharfenberg von der Linkspartei. Der 55 Jahre alte Abgeordnete mit dem Schnauzbart geht durch die Büros seiner Kolleginnen und Kollegen im Landtag, redet hier und da ein paar Worte, und wenn man ihn auf das Stasi-Thema anspricht, schickt er erst einmal einen sehr langen, prüfenden Blick. Dann redet er. Über den Brandenburger Weg und darüber, dass man „so nicht bewerten“ könne, ob dieser Weg richtig oder falsch gewesen sei. Dass die Stasi „ein schlimmes Thema“ sei, das aber auch „eingeordnet“ werden müsse. Er sagt, dass es Politiker der Linken gebe, die seit 20 Jahren Politik in der Demokratie machten. Und wenn man ihn danach fragt, spricht er von seiner Erfahrung mit dem Outing als Zuträger der Stasi. Das war in den 90er Jahren, er saß damals in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung und stellte sich den Vorwürfen. Dass man Existenzängste habe, erwähnt er nur kurz und auch, dass er an das Regime geglaubt habe. Jetzt hofft er auf eine „Versachlichung“ der Debatte.

An diesem Tag der wachsenden Spannung ruft irgendwann Thomas Nord, der Parteichef und Stratege der Linken, aus dem Bundestag zurück. Seit dem 27.September ist er Abgeordneter. Er hatte das Direktmandat in Frankfurt (Oder) gewonnen, vorher der Wahlkreis von Bundeschef Lothar Bisky, obwohl auch Nord einst IM der Staatssicherheit war, Fluchtpläne eines Matrosen verraten hatte. Um mit „diesem Versagen in meinem Leben klarzukommen“, so bekannte er einmal, habe er sieben Jahre gebraucht. Er hat sich „keine Illusionen“ gemacht, dass es hart für Rot-Rot werden wird. Aber er hat sich wohl nicht träumen lassen, dass es eigene Genossen sein würden, die Rot-Rot schweigend und lügend an den Rand des Abgrunds bringen, dass es mit Renate Adolph und Gerd-Rüdiger Hoffmann weitere frühere IMs geben könnte. Irgendwann entfährt Nord der Stoßseufzer: „Ich kenne inzwischen die Biografie jedes Abgeordneten auswendig.“ Es dürfte also keine neuen Enthüllungen geben. Aber selbst Nord würde die Hand nicht mehr dafür ins Feuer legen, dass jetzt alles vorbei ist. „Das wäre nicht glaubwürdig.“ In der Linken gehen Misstrauen und Angst um. So wie es der junge Landtagsabgeordnete Torsten Krause auf seiner Homepage „erschüttert“ schreibt: „Ich frage mich, was noch so alles bekannt wird über Menschen, mit denen ich seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeite. Was kommt da noch? Wer belügt die Wählerschaft, die Partei und mich?“

Derweil wehen Gerüchte über Stasi-Belastungen in anderen Fraktionen durch die Landtagsflure. Grünen-Frontmann Vogel kann kühl mit den Schultern zucken – die Grünen, deren politische Existenz in Brandenburg lange an ein Pflänzchen in der Wüste erinnerte, haben jetzt einen großen Vorteil: Stasi-mäßig kann ihnen keiner, denn sie haben keine DDR-Vergangenheit. Doch Vogel will nicht noch mehr Aufregung. Als am Mittwoch der Linkspartei- Abgeordnete Michael Luthardt wegen seines Dienstes im Wachregiment in die Nähe der Stasi gerückt wurde, mahnte der Grüne, man möge doch „den Maßstab nicht verlieren“. Solche Bemerkungen sind selten zu hören in Potsdam. Keiner weiß, was als Nächstes kommt. Sven Petke antwortet auf die Frage, was er sich von Platzecks Rede verspreche, schlicht „nichts“. Da spürt man noch den Groll auf den Mann, der die CDU  aus der Regierung in die Opposition befördert hat. Saskia Ludwig, Vize-Fraktionschefin der CDU, erwartet, dass Platzeck bei seiner „Schwamm- drüber-Mentalität“ bleiben werde. Der Grünen-Vormann Vogel hingegen will die Lage nicht noch düsterer reden, als sie ist. Immerhin, in den Ausschüssen, die sich jetzt konstituieren, gebe es ein „angenehmes kollegiales Umgehen miteinander“. Und in Sachen Stasi zeichnet sich im Landtag die Einigung auf ein Überprüfungsverfahren ab. Vogel schlägt vor, dass jedes Mitglied des Landesparlaments von der Birthler-Behörde überprüft werden soll. Das Ergebnis müssten jede Fraktion und jeder Abgeordnete für sich bewerten können. In der verfahrenen Situation liege die Chance für eine Auseinandersetzung, die 20 Jahre nicht geführt worden sei, sagt er.

Man bekommt ausgerechnet auf den Fluren der Regierungsfraktionen im Brandenburger Landtag eine Ahnung davon, wer in den vergangenen 20 Jahren auf dem Brandenburger Weg unterwegs war. Nur von den Stasi-Opfern redet keiner. 

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