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Brandenburger Regierung: Gefahr aus dem Laptop

Die Affäre um Ex-Innenminister Rainer Speer hat Regierungschef Matthias Platzeck erreicht. Von seinem Vertrauten mag er nicht abrücken, doch drohen neue Enthüllungen.

Frankfurt (Oder)/Potsdam - Das „Ländchen“, das fern von Potsdam in sich ruht wie eh und je, ist eben nicht der Landtag. Erst vor ein paar Tagen, da saß Matthias Platzeck abends im Hanse-Club in Frankfurt (Oder) mit Unternehmern. Er redete Tacheles zur Energiepolitik, zum Aus für die Braunkohle, das er längst befürchtet. Die Weinrunde erlebte einen gut gelaunten, energischen SPD-Regierungschef, der das Land weiter umkrempeln, die Polizeireform durchziehen will, bei der Personal und Wachen auf das Niveau von Ländern wie Rheinland-Pfalz reduziert werden sollen: „Man fürchtet sich vor Westniveau. Vor 20 Jahren haben wir uns noch darauf gefreut.“ Doch als „überzeugter, fröhlicher Ostdeutscher“ entgegne er: „Das Leben dort funktioniert ja auch. Und zwar gut.“ Die Affären um Ex-Innenminister Rainer Speer, um dubiose Immobiliengeschäfte des Landes? Am Tisch kein Thema, keine Frage, kein Wort dazu.

Und trotzdem werden die Speer-Affären gefährlich für Platzeck, der bislang nicht von seinem Vertrauten abrückte. Zu tief ist die Freundschaft mit dem Mann, der so viel für ihn tat. Aber seit einer Woche ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts einer falschen eidesstattlichen Versicherung gegen Speer, der Ende September seinen Stuhl räumen musste. Zu schwer wogen die Vorwürfe, wonach ein uneheliches Kind Speers aus einer Liaison mit einer Mitarbeiterin trotz zahlungskräftigen Vaters sechs Jahre vom Staat alimentiert worden sein soll. Es wurde 1997 geboren, Speer war Staatssekretär im Potsdamer Umweltministerium, das den Ruf einer grünalternativen WG hatte, Minister war Platzeck. Der wechselte 1998 als Oberbürgermeister nach Potsdam, Speer wurde 1999 unter Stolpe Chef der Staatskanzlei, bereitete die „Wachablösung“ für den „Kronprinzen“ vor. Just in dieser Zeit wurde die Frau, die Speer in die Staatskanzlei folgte, unter zweifelhaften Umständen verbeamtet. War „Begünstigung“ im Spiel, wie die Opposition heute vermutet? Ein Entlastungsversuch endete gerade als Bumerang. Rechnungshofpräsident Thomas Apelt, der dem Fall auf Bitten Platzecks nachging, sieht sich zu keiner Bewertung imstande: Die Personalakte der Frau, so sein Befund, ist unvollständig, verändert, um Seiten erleichtert. Seitdem steht auch noch der Verdacht der Aktenfledderei im Raum. Am Mittwoch soll die Regierungszentrale im Hauptausschuss dazu Stellung nehmen.

Die Affären haben also Platzeck erreicht. Er muss sich der Frage stellen, was er selbst wusste. Der Regierungschef hat sich, dürr, festgelegt. „Der Bezug von Sozialhilfe und Unterhaltsvorschuss durch die in Rede stehende Frau war mir bis zum 31. August 2010 nicht bekannt. Und in meiner Erinnerung ist mir im Zusammenhang mit dem erfragten ,Verhältnis‘ nichts bekannt geworden.“ Doch selbst im Umfeld glaubt keiner, dass es damit ausgestanden ist. Das hat vor allem mit Speers Laptop zu tun. Der war dem damaligen Finanzminister im Oktober 2009 abhanden gekommen, unter mysteriösen Umständen. Fest steht, dass von dem Gerät der publizierte E-Mail-Verkehr zur Unterhaltsaffäre stammt, die den schon wegen der Krampnitz-Affäre unter Druck stehenden Speer zum Rücktritt zwang. Vergeblich hatte er die Veröffentlichung zu verhindern versucht, vor kriminellen Manipulationen gewarnt. Nach kriminaltechnischen Untersuchungen, nach Abgleich mit dem beschlagnahmten Computer der Frau, hält die Staatsanwaltschaft die Daten für authentisch. Ein riskanter Befund für Platzeck, für alles, was da noch kommen mag. Schon die jetzt kursierenden Dateien offenbaren, wie gut sich alle persönlich kennen. In E-Mails der Frau an Speer ist laut „Spiegel“ von „Matthias“ die Rede, oder von „Albrecht“, von Albrecht Gerber also, damals ebenfalls im Umweltministerium, heute Staatskanzleichef. Die „Bild“-Zeitung hat bereits eine E-Mail veröffentlicht, nach der die Frau 2002 Speer über einen persönlichen Anruf von „Matthias“ berichtete. Platzeck habe ihr den Eindruck vermittelt, als ob sie sich für ihre Verbeamtung fast noch entschuldigen müsse. Da war er schon Regierungschef.

Und es drohen weitere Enthüllungen. Es gibt Indizien, dass Speer beim Laptop-Klau womöglich Opfer einer gezielten Aktion wurde: Noch am selben Tag, als er das Gerät als gestohlen meldete, waren die brisanten Dateien zur Unterhaltsaffäre kopiert worden. Sie wurden später auf verschlungenen Wegen – es sollen Motorradrocker, am Rande sogar Ex-Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) involviert gewesen sein – der „Bild“-Zeitung zugespielt. Und es sieht so aus, als ob selbst das erst der Anfang dieser Kabale aus der Provinz war. Speer war Platzecks graue Eminenz, in einer lange perfekt funktionierenden Arbeitsteilung zuständig für heikle Personalien, fürs Unbequeme, Schwierige. Oft genug holte er Kastanien für Platzeck aus dem Feuer. Nicht Platzeck, sondern Speer informierte CDU-Chefin Johanna Wanka vorab über das Ende der SPD/CDU-Koalition, gewann die DDR-Oppositionelle Ulrike Poppe als Stasi-Beauftragte.

Die Festplatte muss voller brisanter Interna sein. Und jetzt meldet der „Spiegel“ mit einem „Insider“ als Quelle, dass „Ende vergangener Woche irgendwo in Potsdam neue Dateien vom Laptop gezogen und in einen Umschlag gesteckt wurden“. Das passt zu Verschwörungstheorien, die längst die Runde machen. Nimmt ein geheimnisvoller „Mister X“ nach Speer nun direkt Platzeck ins Visier und damit Rot-Rot? Nach außen lässt sich der Regierungschef nichts anmerken. Im Gegenteil, so heißt es erleichtert in der engeren rot-roten Spitzenriege: Platzeck habe „sein Tief überwunden“, in das er stürzte, als der Freund zurücktrat und fast zeitgleich auch noch seine Mutter starb. Da hätte er wohl am liebsten alles hingeworfen, obwohl keine Alternative in Sicht ist. „Jetzt kämpft er wieder.“ Die Auftritte im Land, die Umfragen bestärken ihn: Die Speer-Affären haben Rot-Rot bisher nicht geschadet. Also stürzt sich Platzeck in seine Amtsgeschäfte, zerpflückt im Landtag die Opposition, lässt sich auf Kundgebungen wie in Stahnsdorf zu den Flugrouten auspfeifen. Mit diesen Widerständen kann er umgehen, das liegt ihm sogar. Nur gegen den Unbekannten im Hintergrund, wenn es ihn wirklich gibt, kann Matthias Platzeck nichts tun.

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