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Der Brandenburger Weg?

© picture alliance / ZB

Brandenburger SPD: Mit beschränkter Einsicht

War der "Brandenburger Weg" unter Manfred Stolpe (SPD) ein Rückgriff auf die DDR oder auf Preußen? CDU-Politiker Jörg Schönbohm antwortet auf einen Beitrag unseres Kolumnisten Alexander Gauland.

Alexander Gaulands Artikel „Land zwischen Oder und nirgendwo – Der Brandenburger Weg ist kein Rückgriff auf die DDR – sondern auf preußische Traditionen“, der im Tagesspiegel und in den Potsdamer Neuesten Nachrichten erschien, kann nicht unwidersprochen bleiben.

Er zieht eine Entwicklungslinie vom Schmalkaldischen Krieg bis zur Gegenwart, vom ersten Preußischen König Friedrich I. und dessen lavierender Außenpolitik zwischen den Großmächten bis zur Innen- und Sozialpolitik von Ministerpräsident Stolpe und erklärt somit den Brandenburger Weg als konsequent und preußisch bedingt. Das untergegangene Preußen determiniert damit das Verhalten in der gegenwärtigen Gesellschaft mehr, als es die gesellschaftlichen Umbrüche der DDR taten. Ich finde es bedauerlich, dass die Ergebnisse von 40 Jahren DDR-Diktatur ausgeblendet werden, denn um die Wahrnehmung der Folgen in und nach der kommunistischen Herrschaft ging es nach der Wiedervereinigung – und nicht um die Fortführung der preußischen Geschichte.

Die Vertreibung des Landadels, die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft mit dem Verlust der freien Bauern und deren Ersatz durch Landarbeiter waren doch im ländlich strukturierten Brandenburg schwerwiegender und andauernder als in Thüringen oder Sachsen, aber ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern oder der Altmark. Wolfgang Hilbig gibt in seinem Roman „Landflucht“ anschauliche Beispiele davon. Die Kollektivierung und Indoktrinierung des öffentlichen Lebens, die Flucht von Angehörigen des Mittelstandes in den Westen und dessen Fehlen erhöhten die Herausforderungen bei der Umgestaltung des Landes nach dem Mauerfall.

Mit schweren Belastungen wurde Brandenburg wieder gegründet – ein vom Krieg und den letzten Schlachten geschundenes Land, ein Bundesland, von einer hohen Konzentration sowjetischer Truppen bedrückt, und eine Region mit einer hohen Dichte von Staats- und Parteifunktionären und einer maroden Infrastruktur und Industrie.

Weitere Positionen zum Brandenburger Weg finden Sie am Ende dieses Artikel auf Seite 3.

Bei dem Wechsel von der DDR zur Bundesrepublik ging es um eine grundlegende Veränderung: Demokratie statt Diktatur – und in der Demokratie wird das gefordert, was in der DDR nicht erwünscht war. Politische Diskussion, um den richtigen Weg aus Freiheit und Eigenverantwortung anstelle von staatlicher Bevormundung und Umsorgung zu finden. Unter diesen Bedingungen entschloss sich Manfred Stolpe, den sogenannten „Brandenburger Weg“ des Konsenses, der streitfreien Entscheidungen und der staatlichen Fürsorge zu gehen, um alle Bürger mitzunehmen. Die im Landtag vertretenen Parteien akzeptierten diesen Weg.

So ergaben sich Konsens und präsidialer Regierungsstil statt öffentliches Ringen um den richtigen Weg. Der Anteil der SED/PDS am Bestehen und Scheitern der DDR wurde nicht thematisiert. Vielmehr sprach Manfred Stolpe noch im November 1999 in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel und den PNN davon, dass er stolz darauf sei, dass Brandenburg auch die kleine DDR genannt würde. Es überrascht nicht, dass – anders als in anderen neuen Bundesländern – die Stasiüberprüfung großzügiger ausfiel. Hier gab eine „Bischofskonferenz“ ihr Votum über Verbleiben im Amt oder Entlassen ab, dem im Regelfall gefolgt wurde. Ein Vergleich mit den anderen Ländern zeigt, dass in Brandenburg besonders „empfindsam“ entschieden wurde. Hier wurden nur 21 Prozent der stasibelasteten Mitarbeiter entlassen, wohingegen in den anderen Bundesländern zwischen 39 Prozent und 75 Prozent entlassen wurden.

Bei Brandenburgs SPD bildete sich das Verständnis heraus, Staatspartei zu sein

Diese Brandenburger Besonderheit ist keine Folge des preußischen Erbes. Sie ist Folge der Entscheidungen der Regierung, an der auch FDP und die Grünen beteiligt waren. Nach der Diskussion im Untersuchungsausschuss, bei der es um den Ministerpräsidenten und die Stasivorwürfe ging, gewann Stolpe die absolute Mehrheit. Dies wurde von der SPD als Bestätigung für ihren Kurs des Verschleierns und Verharmlosens ausgelegt. Nach diesem Wahlsieg bildete sich bei der SPD das Verständnis als d e r Staatspartei heraus, die allein für Brandenburg sprach. Sichtbarer Ausdruck dieser Hybris war ein SPD-Plakat, in dem eine Verbindungslinie vom Soldatenkönig über Friedrich den Großen zu Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt als deren Erben und Kulminationspunkt gezogen wurde. So verstand sich Regine Hildebrandt auch als fürsorgende Mutter, die den Bürgern weismachte, dass sie ihnen alle Schwierigkeiten abnehmen könne. Mit diesem Selbstverständnis trat die SPD ihrem politischen Gegner gegenüber und beanspruchte die Deutungshoheit während der ersten Jahre Brandenburgs nach der Wiedervereinigung.

Wenn heute eine Diskussion über dieses Verhalten wieder aufbricht, dann sollte die SPD dies als ihre Chance begreifen und die ersten Jahre ihrer Regierung im Umgang mit den stasibelasteten Mitarbeitern kritisch bewerten. Wie wenig sie dazu in der Lage ist, hat die geifernde Reaktion des Fraktionsvorsitzenden Holzschuher auf den Beitrag seiner parlamentarischen Kollegin Saskia Ludwig gezeigt (Die CDU-Landes- und Fraktionschefin hatte der „kleinen DDR“ der Stolpe-Ära vorgeworfen, „den weitverzweigten Tentakeln der SED-Diktatur mit ihrer Stasi das Überleben zu sichern“. Holzschuher konterte, Ludwig zeichne ein „extremistisches Zerrbild Brandenburgs“, außerdem rücke sie die SPD-Regierungen in die Nähe des DDR-Regimes – d. Red.) Frau Ludwig hat mit ihrem diskussionsanregenden Beitrag weitere Gesichtspunkte genannt. Wir brauchen parteiübergreifende Diskussionen, um die folgerichtigen Konsequenzen aus der jüngsten Geschichte zu ziehen. Die SPD braucht diese Diskussion wohl am meisten. 2006 stellte sie unsere Koalition infrage, weil ich in Sachsenhausen darauf hingewiesen hatte, dass nach der Schließung des KZ dort ein sowjetisches Speziallager weiterbetrieben wurde. Nach Auffassung des damaligen Fraktionsvorsitzenden Günter Baaske arbeitete ich mit dieser Feststellung den Rechtsextremen in die Hände.

Warum nimmt die SPD nicht den Hinweis des langjährigen Parlamentarischen Geschäftsführers der PDS, Heinz Vietze, auf, der sagte, dass er nicht an die Stasi berichtet habe, es sei vielmehr umgekehrt gewesen. Die Stasi war Schwert und Schild der SED. Deren ehemalige Kader sitzen wieder an den Schalthebeln der Macht. Der „Maßstab der beschränkten Einsicht“ (Großer Kurfürst über seine Untertanen) besteht bei der SPD offensichtlich fort, und so wird sie nicht aus diesem Dilemma kommen. Jetzt hat die Linkspartei ihr neues Programm vorgestellt und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ beschreibt es als Rückkehr um Kommunismus – soll darüber hier auch nicht diskutiert werden?

Gauland schreibt als letzten Satz seines Artikels: „Mag der Brandenburger Weg auch längst keinen realen wirtschaftlichen und sozialen Hintergrund mehr haben, für die SPD bleibt er als symbolische Bezugsgröße ihrer Politik unverzichtbar.“ Diese symbolische Bezugsgröße hat nach den bisherigen Erkenntnissen ihren Wert verloren, sie ist vielmehr zu einer Belastung des Ansehens unseres Landes geworden. Der lange Abschied Brandenburgs SPD von der DDR geht endgültig zu Ende. Darum wäre es für Brandenburg gut, wenn wir die bisherigen Erkenntnisse und die Ergebnisse der Enquetekommission kritisch diskutieren, um im Ergebnis endlich da anzukommen, wo viele unserer Bürger, vor allem unsere Jugendlichen, sind: in der Bundesrepublik Deutschland, wo unsere Kinder Chancen und Möglichkeiten haben, von denen ihre Eltern nur träumen konnten, einem Land, wo die freie Rede und die politische Auseinandersetzung die Zukunft bestimmen – warum nicht auch in Brandenburg?

Der Autor war Bundeswehrgeneral, Innensenator in Berlin, Innenminister des Landes Brandenburg und Chef der brandenburgischen CDU, deren Ehrenvorsitzender er heute ist.

Weitere Positionen zum Brandenburger Weg

Dr. Saskia Ludwig, CDU: "Der freie Geist ist eine preußische Tugend" - Eine Replik auf Alexander Gaulands "Land zwischen Oder...", erschienen in der PNN vom 13.7.2011

Ralf Holzschuher, SPD: "Die CDU braucht wieder mehr Bürgerlichkeit" - Eine Replik auf Brandenburgs CDU-Chefin Saskia Ludwig, erschienen in der PNN vom 15.7.2011

Linda Teuteberger, FDP: "Zukunft braucht mehr als nur Herkunft" - Preußen ist untergegangen – Brandenburg wurde von Demokraten wiederbelebt, erschienen in der PNN vom 16.7.

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