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Brigitte Grunert: Wo S-Bahn-Waggons definitiv nicht stehen

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Das S-Bahn-Chaos ist ein starkes Stück, klar. In einer hitzigen Debatte im Abgeordnetenhaus wies der Senat Forderungen der Opposition, S-Bahn-Strecken an andere Betreiber zu vergeben, mit dem Argument zurück, andere verfügten gar nicht über den passenden Wagenpark. Jutta Matuschek von der Linksfraktion spottete mit Blick auf die Opposition: „Sie haben doch keine S-Bahn-Waggons in der Garage zu stehen!“

Nein, Politiker haben bestimmt nirgendwo S-Bahn-Wagen stehen, schon gar nicht haben sie diese „zu stehen“. Der Infinitiv mit „zu“ hat in diesem Satz nämlich sprachlich nichts zu suchen, wenngleich der falsche Gebrauch gang und gäbe ist, vor allem in Berlin und in Niedersachsen. Bei Verben, die wie stehen, liegen, wohnen einen Vorgang oder Zustand ausdrücken und in Verbindung mit haben das Prädikat bilden, ist die Infinitiv-Konjunktion „zu“ nicht korrekt. Daher hat man Autos in der Garage stehen, und nicht zu stehen. Sie hat das Buch vor sich auf dem Tisch liegen. Er hat einen Gast bei sich wohnen. Er hatte einen Besucher im Vorzimmer sitzen. Der Volksmund sagt es ganz richtig: Wer angetrunken ist, hat einen sitzen.

Korrekt steht das Wort „zu“ beim Infinitiv in Verbindung mit haben natürlich dann, wenn eine Aufgabe oder Notwendigkeit ausgedrückt wird. Sie hat viel zu tun. Er hat schwer zu tragen. Aber: Sie half ihm tragen. Bei lehren, lernen, helfen, heißen ist „zu“ nicht erlaubt. Das Kind lernte schwimmen. Er hieß ihn warten. Doch er bat ihn zu warten.

Man sieht: Infinitivsätze haben es in sich. So fragte Gregor Hoffmann (CDU) den Senat: „Welche Möglichkeiten hat der Bürger, wenn er die (Brief-)Wahlunterlagen nicht mehr rechtzeitig erhält, um von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen?“ Hier ist von Möglichkeiten die Rede und daher „um zu“ überflüssig, „zu“ genügt. Welche Möglichkeiten haben die Bürger, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen? Nach der grammatischen Regel drückt der Infinitiv mit „um zu“ nämlich die Folge einer im Hauptsatz genannten Voraussetzung aus oder die Absicht einer im Hauptsatz genannten Person beziehungsweise den Zweck eines im Hauptsatz genannten Geschehens. Da er verreisen muss, ließ er sich, um von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen, die Briefwahlunterlagen schicken. Sie blieb zu Hause, um sich das Fernsehduell der Spitzenkandidaten anzusehen.

Auch missverständliche Aussagen wie diese sind oft zu hören: Er ging über den Damm, um überfahren zu werden. Es wäre ja grotesk, hätte er mit dieser Absicht die Straße überquert. Wiederum ist mitunter beides korrekt, „zu“ ebenso wie „um zu“. Manch einer ist klug genug, das zu begreifen /um das zu begreifen. Ach, der Infinitiv hat schon seine Tücken.

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