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Bürgermeisterwahl: Stadt im Goldstaub: Potsdam vor der Wahl

Im Norden der Boom, im Süden die Platte und am Sonntag die Bürgermeisterwahl. Von einer Stadt, die viel vor sich hat – und Kandidaten, denen dazu nichts einfällt.

Quader aus Glas und Aluminium erheben sich aus der Wiesenlandschaft, gläserne Gewächshäuser, Labore für Nano- und Messtechnik, Werkstätten und Verwaltungsgebäude der Universität Potsdam, der Forschungsinstitute Fraunhofer und Max Planck. Das ist seit ein paar Jahren Potsdams Gegenwart und soll auch seine Zukunft sein: Wissenschaft.

11 500 Menschen kämen jeden Tag auf das Gelände, Wissenschaftler, Institutsmitarbeiter, Studenten, sagt Friedrich Winskowski, ein Mann aus dem Westen, der seit vielen Jahren in Potsdam lebt. Freundliches Lächeln, graues Haar, kurzer Schnauzbart über strahlend blauem Hemd. Der Manager kümmert sich um neue Mieter und Investoren, um die Vermarktung des Geländes, das seit Mitte der 90er Jahre Wissenschaftspark Golm heißt. Ein dankbarer Job. Er spricht von „Champions League“, sagt: „Stanford hat ein gutes Marketing. Potsdam ist nicht schlechter“ – und zählt auf, was das ehemalige Militär- und Verwaltungsstädtchen Potsdam zum Treffpunkt der klugen Köpfe macht: Das geht von Golm über das Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik bis zum Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Vor anderthalb Jahrzehnten mag Potsdam die Stadt der Jammer-Ossis gewesen sein, heute gebe es hier „Leistungsorientierung“, sagt Winskowski. Er spricht vom „Goldstaub“ in der Atmosphäre, den man nur sehen müsse.

Potsdam wächst. Und es sind vor allem bürgerliche Menschen, die neu kommen, Wissenschaftler, Kreative, Filmschaffende, Modeleute, und die haben Potsdam verwandelt mit ihrer Zuversicht, Zufriedenheit und Lebensfreude. Man kann in ihnen Winskowkis „Goldstaub“ sehen. Allein: Er fällt nur auf einen Teil von Potsdam. Der Abstand zwischen dem florierenden Norden und dem Süden mit seinen Großsiedlungen und Plattenbauten wirkt größer denn je. Und diese Stadt der immer größer werdenden Kontraste, der Hoffnungen, der ostdeutschen Erfolgsgeschichten und der DDR-geprägten Lebensläufe wählt am Sonntag einen neuen Oberbürgermeister. Ausgang: völlig offen. Die Kandidaten spüren frei schwebende Sympathien und Antipathien im Süden wie im Norden. Umfragen gibt es nicht. Und auch keine Tipps.

Vor acht Jahren, bei der vergangenen Oberbürgermeisterwahl, war Potsdam in zwei Nuancen rot. Damals unterlag in einem zweiten Wahlgang der PDS-Mann Hans-Jürgen Scharfenberg ganz knapp dem Sozialdemokraten Jann Jakobs. Auch diesmal werden zwei Wahldurchgänge erwartet. Neben Jakobs und Scharfenberg rechnet sich Barbara Richstein von der CDU selbstbewusst Chancen aus. Ihr Ziel sei es, in die Stichwahl zu kommen, sagt sie. Das wäre nicht wenig für die Kandidatin einer Partei, die vor acht Jahren viel zu zerstritten war, um das bürgerliche Potsdam für sich zu interessieren und bei der Wahl gerade 15,5 Prozent der Stimmen abbekam. Der Linken-Kandidat Scharfenberg muss sich in diesem Wahlkampf für seine IM-Vergangenheit rechtfertigen. Und Jakobs muss begründen, warum so viele Probleme seit Jahren unerledigt die Lokalpolitik beherrschen, vom drohenden Verkehrsinfarkt bis zum Mangel an preiswerten Wohnungen.

Die Mieten sind hoch in Potsdam, es ist eng geworden. Keine 138 000 Bürger zählte die Stadt Ende 1990. 19 Jahre später sind es mehr als 154 000, Tendenz steigend. Ein großes Neubau-Vorhaben auf dem Krampnitzer Kasernengelände sollte Entspannung bringen. Stattdessen bescherte es der SPD-geführten Landesregierung einen Immobilien-Skandal, der den Finanzminister und vielleicht auch Ministerpräsident Matthias Platzeck betrifft, Jakobs Vorgänger im OB-Amte. Der Skandal wirkt sich zwar nicht direkt auf den Wahlkampf aus, aber Jakobs dürfte sich im Stillen bedankt haben.

Das neue Potsdam wirkt bürgerlich, doch auch diffus. In den Altbau-Wohnungen in der Brandenburger und Nauener Vorstadt mit ihren gepflegten alten Häusern, in den neuen Einfamilienhäusern oben in Bornstedt, gegenüber dem großen Bundesgartenschau-Park mit Spielplätzen und Skaterbahn leben Menschen mit belastbarem Einkommen und postmodernen Werten: Bildung ist wichtig, nicht der Geländewagen, eine schöne Umgebung mit viel Wiese und alten Bäumen, der Biomarkt, gute Schulen für die Kinder, Kultur, Zeit, Freiheit, Lebensart. Und doch scheint dieses Milieu der netten CDU-Frau Barbara Richstein so wenig zuzustreben wie dem ebenso netten Amtsinhaber Jann Jakobs.

Verändert hat sich auch der Süden der Stadt, zum Guten. Trotzdem kann Hans-Jürgen Scharfenberg mit seinem dichten grauen Haar, dem Schnauzbart und dem sächsischen Sound sich nicht mehr sicher sein, dass man hier, in seiner politischen Heimat, stramm tiefrot wählt. Als dieser Vorarbeiter linker Stadtpolitik im Jugendtreff „Club 18“, mitten in der Plattenbausiedlung Am Stern, mit den Konkurrenten diskutiert, ist das Publikum für alle offen, und auch Barbara Richstein bekommt viel Applaus. Die frühere Justizministerin kann über Kommunalpolitik von Wohnen bis Verkehr nach Bedarf und in jeder Länge reden. „Ich könnte jetzt noch den ganzen Abend so weitermachen, wenn Sie mich nicht langsam mal unterbrechen“, sagt sie fröhlich zum Moderator. Die Leute lachen und mögen ihren Humor. Aber wählen sie sie?

Klaus Locker ist Makler und also eine Art Stadt-Soziologe. Im „Café Heider“ am Nauener Tor zwischen historischer Innenstadt und dem sanierten Holländerviertel kennt er die Bedienung mit Namen. Manchmal komme er am Wochenende vorbei, erzählt er. Dann sehe er an den Tischen draußen lauter Kunden von früher sitzen, denen er Wohnraum vermittelt hat. Im Norden. Dort sieht er, quasi stadtsoziologisch betrachtet, zwei Gruppen: Wissenschaftler aus Frankfurt, Stuttgart oder Bielefeld mit Frau und Kindern, zwischen 30 und 40. Dazu die Kreativen aus der Mode- und Computerwelt. Diese Leute, sagt Klaus Locker, sähen die sanierte barocke Architektur in den Altbauvierteln, das viele Wasser, die Parks mit den alten Bäumen. Das alles hätten sie „förmlich inhaliert“ und seien „völlig hin und weg“ von Potsdam. Außerdem sieht er: die Berliner. Die kämen am Wochenende in die Stadt und am Montag in Lockers Maklerbüro am Nauener Tor, um Angebote einzuholen. Sie sähen Viertel, die „intakt sind“, sagt Locker, „übersichtlich und gemütlich“. In Potsdam, sagt Locker, „werden keine Autos angesteckt, keine Außenspiegel abgerissen“.

Bürgerliche Lebensformen, postmoderne Werte, Bildung und Kinder wichtiger als Status – das könnte ein Potenzial für die Grünen sein. Deren Spitzenkandidatin Marie Luise von Halen aber begegnet möglichen Wählern mit Strenge. Sie hat 100 erste Maßnahmen für den Klimaschutz in petto, Straßensperrungen inklusive und erklärt, dass sie seit 14 Jahren alle Wege mit dem Fahrrad zurücklege.

Da kann der SPD-Mann Jann Jakobs, ein freundlich-jovialer Typ mit grauem Dreitagebart, schon besser mit Menschen. Er wirkt kein bisschen belehrend oder arrogant. Dass auch er nicht als Favorit in die Wahl geht, obschon er sich rühmt, 12 000 neue Jobs in die Stadt geholt zu haben, liegt daran, dass er es – anders als sein Vorgänger Matthias Platzeck – nicht geschafft hat, sein Amt leuchten zu lassen. Jakobs merkte man immer an, dass das Rathaus vor allem auch dies ist: Arbeit.

Jakobs erlebt viel Streit. Besonders wenn es um Baupolitik gehe, sei er unsicher und werde nicht gut beraten, heißt es über den Mann, der aus der Sozialpolitik kommt. Die anhaltenden und spektakelhaften Konflikte um die gesperrten Uferwege am Griebnitzsee und in Groß Glienicke zeigen, dass der Verwaltungschef sich schwertut mit dem Lösen der Konflikte.

Ab und zu wurden und werden dann auch noch Streitereien mit den Prominenten Potsdamern bekannt – wie die zwischen Fernsehmoderator Günther Jauch, dem die Stadt viel verdankt, und den Baubehörden. Manches alte Haus, hat Jauch mal gesagt, habe er nicht gekauft und saniert, weil er den zuständigen Sachbearbeitern in der Baubehörde kein zweites Mal begegnen wollte. Aktuell liegt Hasso Plattner, Software-Koryphäe, Institutsgründer und Investor, mit den Behörden im Streit um die Baugenehmigung für ein Bootshaus. Solche Ärgernisse entwickeln sich regelmäßig und dynamisch am OB vorbei zum Politikum.

Im Straßenwahlkampf an einem Einkaufscentrum in Bornstedt jedoch wird Jakobs zuallermeist auf die Verkehrsprobleme der Stadt angesprochen: Ob man denn nichts machen könne gegen die Lastwagen, die nachts die Stadt passieren, um zig Kilometer auf dem Autobahnring zu sparen, fragt ihn eine ältere Frau. Sie klagt, jeden Morgen um vier werde sie von den Lastern geweckt. Jakobs guckt bekümmert und stimmt der Frau zu. Er weiß, wovon die Leute reden, auch er wohnt mitten in der Stadt, er kennt das Lkw-Problem aus eigener Erfahrung – und bleibt die Antwort schuldig, warum man die Stadt nicht für den Fernverkehr sperren kann. Und doch wirbt er für sich selbst mit dem Satz: „Kontinuität und Verlässlichkeit – dafür stehe ich.“

Kontinuität – die spürt man zunächst auch im Stadtteil Am Stern. Hier sieht es auf den ersten Blick so aus wie in allen Plattenbauvierteln: rötliche Gehwegplatten aus Beton, wellenförmige Dächer auf den Kindertagesstätten, Koniferen zur Begrünung. Doch Scharfenberg, der Mann der Linken, hat in der Stadtverordnetenversammlung manches durchgesetzt – schließlich ist die Linke stärkste Fraktion und Scharfenberg ihr Chef. So wurde das Quartier nach und nach modernisiert. Und Scharfenberg führt seine Besucher stolz zum „Campus am Stern“, wie sich das sanierte Leibniz-Gymnasium nennt. Oder noch ein paar Minuten zu Fuß weiter, bis zum „Porta“-Möbelmarkt mit 250 Arbeitsplätzen. Und Scharfenberg, der in 20 postsozialistischen Jahren vom Ideologen zum Pragmatiker geworden ist, erzählt, wie es ihm gelang, die Investoren zum Investieren zu bringen und dem OB das Ganze als Paket zu präsentieren. Der musste nur noch genehmigen.

Wenn Scharfenberg durch die Straßen geht, wird er dauernd angesprochen, von Rentnerinnen mit Rollator und zerfurchten Arbeitertypen mit Biermann-Schnauzer, wegen Hartz, wegen Wohngeld oder um ein „Meine Stimme haste!“ loszuwerden. Es wirkt, als würde der ganze Stern mit 16 000 Einwohnern Scharfenberg wählen. Doch da ist die IM-Vergangenheit ein Thema, seit die Linke in Brandenburg mitregiert. Als „IM Hans-Jürgen“ hatte er während des Studiums an der Potsdamer Akademie für Staat und Recht über Dozenten und Kollegen berichtet – Kleinigkeiten, Klatsch. Seine Stasi-Beziehung war seit dem Jahr 1995 bekannt. Zum Thema ist das alles vor einem Jahr geworden, als Matthias Platzeck die rot-rote Koalition für Brandenburg zusammenbrachte.

Scharfenberg spricht jetzt von seiner „DDR-Biographie“. Dafür sei er verantwortlich, darüber diskutiere er offen. Nicht mal seine Gegner sagen ihm nach, er sei einer, der die DDR schönrede. Der Sozialist ist in der Gegenwart angekommen. Gerechtigkeit, so meint er, würde sich daran zeigen, dass alle Kinder in Potsdam ein kostenloses Schulessen bekommen.

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