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Brandenburg: Bunkermordprozess: Julia wurde ihren Mördern ausgeliefert

"Schauen Sie nicht so viel da hin! Und sagen Sie uns, wenn Sie Angst haben!

"Schauen Sie nicht so viel da hin! Und sagen Sie uns, wenn Sie Angst haben!", fordert der Vorsitzende Richter Klaus Przybilla den Zeugen auf und deutet in Richtung der Anklagebank. Dort sitzen am Mittwoch Stephan T. (18) und Ronny S. (27), denen die Handschellen erst im Saal 15 des Potsdamer Landgerichts abgenommen wurden. Es ist der vierte von zwölf geplanten Verhandlungstagen; die Anklage lautet unter anderem auf Mord. Mord an der 26-jährigen Heidi F., damit sie der Polizei nicht mehr erzählen kann, dass die Angeklagten ein paar Tage vorher ihren Bruder halb tot geprügelt hatten. Und Mord an der dreijährigen Julia, die nach dem Tod ihrer Mutter im Juni 2000 zum "Entsorgungsproblem" wurde.

Vermutlich haben die beiden das Kind einfach totgetreten und in den Müll geworfen. Die Leiche ist bis heute verschwunden. Es gibt noch einen dritten Angeklagten, der Schmiere gestanden haben soll, während die anderen beiden Heidi F. in einem Bunker nahe der Stadt Brandenburg mit Fußtritten, Faustschlägen und Messerstichen umbrachten. Er wird unter anderem der unterlassenen Hilfeleistung beschuldigt. Aber heute geht es nicht um das unmittelbare Mordgeschehen, sondern um das verwobene Milieu, aus dem Täter und Opfer stammen.

Stephan T. starrt wie ein gelangweilter Schüler abwechselnd auf die Tischplatte und aus dem Fenster. Ronny S. fixiert den Zeugen scharf und macht sich Notizen. Der Zeuge ist ein Stiefbruder von Heidi und zugleich der Bruder des Verprügelten. Ein blasser, dürrer 25-Jähriger mit Bomberjacke. Es war sein Auto, das sich die Angeklagten geborgt hatten, um nachts seinen Bruder in den Wald zu bringen, wo sie ihn mit Spaten und Messer malträtierten. Einige Tage später, als Heidi verschwunden war, hat sich der Zeuge dann gemeinsam mit seiner Freundin eine Woche lang um die kleine Julia gekümmert. Er hat ein paar Mal versucht, seine Stiefschwester über Handy zu erreichen. Sie nahm nicht ab - vielleicht war sie schon tot. Aber das wusste der Zeuge damals noch nicht. Er wusste nur, was ihm sein Bekannter, der Angeklagte Stephan T., erzählt hatte: Heidi liege wegen eines Unfalls schwer verletzt im Krankenhaus und könne nicht besucht werden. Der Zeuge nahm das so hin. Weil er es nicht gewohnt ist, sich große Gedanken zu machen. Weil Heidi manchmal keine Zeit für ihre Tochter gehabt habe. Und weil er wusste, dass man lieber nicht nachfragen sollte, wenn einem der stadtweit berüchtigte Kriminelle Stephan T. etwas erzählte. Einen Moment lang hatte der Zeuge mit seiner Freundin überlegt, ob sie Julia behalten sollten. Doch dann rief Stephan T. an und sagte, dass er das Kind haben wolle. Sie gaben es ihm. T. habe später davon gesprochen, dass er Julia "verscherbeln" wolle.

"Da ist etwas mächtig schief gelaufen", sagt der Vorsitzende. "Gesamtversagen", murmelt die Richterin neben ihm. Manches ließe sich vielleicht damit erklären, dass der Zeuge aus einem Elternhaus stammt, wo bei Streitigkeiten gelegentlich die Axt aus dem Keller geholt wurde. Aber nicht alles.

Anschließend wird die Freundin des Zeugen vernommen. Sie ist 28 und Mutter von fünf Kindern. Ihr ältester Sohn hat denselben Vater wie die tote Julia. Als sie das Kind damals in Obhut genommen hat, sei sein Körper von blauen Flecken übersät gewesen. Diese waren offenbar auch ein Werk von Stephan T., der sich kurz zuvor schon einmal um die Kleine "gekümmert" hatte. Sie habe mit Julia zum Arzt gehen wollen - auch um klarzustellen, dass die blauen Flecke nicht ihre Schuld gewesen seien, sagt die Zeugin. "Ich schlage ja noch nicht mal meine eigenen Kinder!" Aber aus dem geplanten Arztbesuch wurde nichts, weil Julias Versichertenkarte verschwunden war. Wahrscheinlich haben die Angeklagten die Karte zusammen mit den Dokumenten der Mutter verbrannt.

Der nächste Zeuge ist wiederum ein Halbbruder von Heidi. Auch er ist Mitte Zwanzig, blass. Und schweigsam: Er sagt nur, dass sein Verhältnis zu Heidi nicht das beste gewesen sei. "Fällt Ihnen dazu noch was ein?", fragt der Vorsitzende. Keine Reaktion. "Haben Sie Angst vor den Angeklagten?" - Schweigen. Mehr erfährt das Gericht nicht. Der Zeuge scheint das Bild der toten Heidi und ihres misshandelten Bruders vor Augen zu haben. Da hilft es auch nichts, dass Stephan T. und Ronny S. voraussichtlich nicht so bald wieder draußen sein werden. Sie haben ja noch Freunde. Wobei "Kumpels" in diesem Fall wohl die treffende Bezeichnung wäre. Kumpels können unberechenbar sein.

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