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Ein Besuch lohnt sich: Burg Stargard lockt im Sommer mit Bier und Schnittchen, einem kleinen Hotel und liebevoll angelegtem Kräutergarten.

© Marcus Franken

Burgen & Berge: Das Paradies um die Eck'

Im Land der tiefsten Turmverliese, ältesten Eichen und stillsten Seen – eine Reise durch die Burgen- und Mythenwelt der Mecklenburgischen Schweiz.

Keinen würde es wundern, wenn jetzt und hier eine Armada geharnischter Ritter über die Wippbrücke hereinstürmen würde, Lanze und Morgenstern im Anschlag. Wenn die Recken auf ihren Rössern über das Kopfsteinpflaster rasseln und lautstark nach dem Burgherrn verlangen würden. Der käme auch – allerdings in Jeans und Pulli. Denn er ist erst 28 Jahre alt, stammt aus Dresden und ist von Berufs wegen Eventmanager: Martin Richter. Also nichts mit Mittelalter oder Zeitreise – Burg Stargard in Stargard wird zeitgemäß vermarktet. Bleibt aber der perfekte Platz für Liebhaber der Imagination. Ihr geschlossener Backstein-Kosmos ist verwinkelt und verwunschen. Die Insignien längst vergangener Zeiten sind alle da: Kapelle, Krummhaus, Kräutergarten. Auch Geschützturm und Verlies, Turmfalken und Käuzchen. Richter führt rührig durch die Katakomben, er preist die Burg an wie andere ihr frisch gebautes Eigenheim. Als städtisch installiertem Burgherrn mangelt es ihm an Geldern zur Erhaltung, nicht aber an Superlativen: Einzige erhaltene Höhenburg Norddeutschlands! Burg mit dem tiefsten Turmverlies der Region! Letzter Hexenprozess Mecklenburg-Vorpommerns 1726 auf Burg Stargard!

Im ehemaligen Gefangenenhaus gibt es heute ein Hotel, Burg-Chef Richter selbst residiert im einstigen Amtsreiterhaus. Im Turmverlies erzeugen Folterinstrument-Repliken einen schön-schaurigen Grusel, sowohl die Streckbank als auch die Stäbe zur Pfählung sind noch da und sehen aus, als wären sie gestern noch in Gebrauch gewesen. Obwohl es keinen Nachweis gibt, dass auf der Burg tatsächlich misshandelt wurde, machen sich Martergeräte gut beim Burgbesucher. Ab 1236 aufgebaut, wurde Burg Stargard zur Hochburg von Brandenburger Markgrafen. Brände, Blitze und die Zeiten schliffen den einen oder anderen Backstein, aber eine Burg, die historisch Eindruck schinden will, muss auch Abrieb vorweisen. Und einen Blick von ihren Türmen, der unverstellt ins Weite geht: Bei Burg Stargard geht er bis zu den Helpter Bergen, der höchsten Erhebung im Flachland Mecklenburg Vorpommerns. Hier kreisen Storch und Milan und hier setzt eine Landschaft zum Sprunge an, die weder von Berlinern noch Hamburgern bisher entdeckt wurde: die Mecklenburgische Schweiz. Landschaftsliebhaber Theodor Fontane wunderte sich seinerzeit zwar über die Manie der Geografen, allen hübsch-hügeligen Gefilden das Label »Schweiz« anzuheften, doch im Fall dieser Mecklenburger Landschaft hätte er sehr wohl eine Ausnahme gemacht. Denn hier ist die Dichte des Romantik-Interieurs beträchtlich: In jedem Dörflein ein Schloss, ein Herren- oder Gutshaus, knorrige Baumalleen, Wiesen- und Auen-Lieblichkeit. Und allerorts das gelbe Schild mit Uhu drauf: Naturdenkmal. Oder das blau-weiße: Baudenkmal. Feinstes Grund- und Endmoränenland. Ein ganzes Areal mit Wohlfühlfaktor für Sehnsüchte diverser Art. Nach Natur, Architektur oder einfach nur nach Abstand von der rauen, lauten Welt. Abstand von den großen Städten. Laut sind hier nur Gänse, Reiher oder ein quietschender Wetterhahn. Gut 50 000 Besucher blicken jährlich vom Turm der Burg ins Umland und finden sich ein, wenn unter altertümlichem Gebälk allerlei Festivitäten abgehalten werden: Ritter- und Mittelalter-Spektakel, Hochzeiten und Disco-Abende. »Da kann schon mal ein Backstein runterpurzeln, wenn das Publikum es allzu wild treibt«, sagt Burgherr Richter. Selbst Reben wachsen auf dem Burghof. Wer konnte ahnen, dass Mecklenburg-Vorpommern auch noch als Weinregion reüssiert? Von Stargard ist es nur ein 40-Minuten-Ritt mit dem Auto via Neubrandenburg zu einem anderen Dorfjuwel. Ivenack (slawisch: Weidenort) hat mehr zu bieten als so manche Kleinstadt. Wer kann schon ein Schloss wie in der Serie »Downton Abbey« und einen Park mit tausendjährigen Eichen sein Eigen nennen? Um die älteste und dickste zu umfassen, braucht es mindestens elf Mann – eine ganze Fußballmannschaft! Allesamt sind sie Caspar-David-Friedrich-Eichen: wuchtig, mystisch und verästelt wie ein Lungenflügel.

Schon die Slawen, die hier siedelten, trieben ihr Vieh ins Waldstück, zum Abfressen des Wildwuchses, deshalb auch »Hudewald«, das kommt von »hüten«. So konnten sich die Ivenacker Eichen voll entfalten, um sie herum entstand eine Art Traumzauberwald. Dessen Aura: Gleich kommen auch noch Feen und Kobolde um die Ecke. Am Ende ist es aber nur Rot- und Damwild, das durch die Gefilde kreucht. Kein Wald wie dieser, der nicht tausend Mythen und Legenden zu kreieren wusste: So sollen die Eichen einst Nonnen gewesen sein, die aus dem nahen Zinsterzienserkloster stammten. Eines Tages von Räubern überfallen und halbnackt zurückgelassen, baten sie den Herrgott, dass er ihren sündhaften Anblick schützen möge – prompt wurden sie zu Bäumen. Durchaus wahr aber soll die Geschichte von Herodot sein, dem famosen Schimmelhengst. 1806 versteckten ihn die Ivenacker vor den heranrückenden Franzosen in einer hohlen Eiche. Doch das Pferd verriet sich durch sein Wiehern, Napoleon entführte es nach Frankreich. Sieben Jahre später brachte Marschall Blücher ihn wieder mit in die Heimat zurück. Dann ist da noch das Lischengrab, auf dem Weg nach Stavenhagen. Die kleine Stadt ist übrigens Geburtsstadt von Fritz Reuter, dem Dichter, der das Mecklenburger Platt bevorzugte. Im Lischengrab ruht die 22-jährige Elisabeth Gilo, gestorben 1775, die in wilder Ehe mit einem Grafen aus dem Schloss lebte.

Päuschen für die Schreiberin: Vor dem Amtsreiterhaus im Hof der Burg Stargard.
Päuschen für die Schreiberin: Vor dem Amtsreiterhaus im Hof der Burg Stargard.

© Marcus Franken

Trotz aller Verweise in die Vergangenheit ist der Ivenacker Wald auch in der Gegenwart verhaftet – die Tourismus-Verantwortlichen sind durchaus fleißig. In einem Barock-Pavillon zeigen die Förster – multimedial aufbereitet –, wie der Wald, das Jagen und die Tiere heute funktionieren. Und in einem Rangerhaus am Eingang bringt Forstwirt Klaus-Peter Gysendörffer Hirschsalami und Eichen-Tassen an den Mann. Animateur ist er auch noch obendrein. Voller Verve erzählt er Anekdötchen und auch, dass das Schloss nach vielen Jahren endlich wieder einen Besitzer hat, einen Dänen. »Geschäftsmann! Muss wohl reich sein!« muss er wohl. Denn er saniert auch Schloss Retzow bei Rechlin, in Ivenack springt ihm der Bund mit fünf Millionen Euro bei. Die Schlossanlage, zu DDR-Zeiten noch Alten- und Pflegeheim, dann leer stehend, ist »als Denkmal von nationaler Bedeutung« eingestuft. An Lage und Idylle ist sie kaum zu übertreffen: direkt am See gelegen, samt Schwanenparade und Weidenwuchs. Nach dem Ausbau soll der Prachtbau aber auch für Nicht-Schlossbesitzer zugänglich sein – mit Ferienwohnungen, Seminar- und Hochzeitsräumen, einer Ausstellung zur Ritterschaft. Das, was man einem Schloss in Mecklenburg eben so einpflanzt heute. Auch die Kummerower, nur 20 Kilometer weiter, haben dieser Tage die Handwerker im Schloss, das Haus wird von altem Grind befreit. Früher hat manch einer von ihnen sich die Sommerzeit auf dem Campingplatz im Schlosspark vertrieben. Im Inneren standen Sprüche an den Wänden: »Der Pionier hält immer sein Halstuch sauber« oder Brecht: »Denken ist die erste Bürgerpflicht.« Schloss Kummerow, gebaut als barockes Herrenhaus für einen derer von Maltzahn, ist ein Idyll, das seinesgleichen sucht. Auch hier gibt es einen Käufer (siehe Interview), auch hier fördert der Bund. Und später soll es öffentlichen Zutritt geben. Viel mehr noch als das Schloss aber kann es einem der See in Kummerow antun, denn der ist ein Quell der Ruhe und Tranquilität. Dort zu sitzen, unter kehligem Rohrdommel-Singsang und Seeschwalben-Gekrächz, den Blick über den großen, glatten Spiegel, das hat noch jeden weich gemacht. Und wer es ganz für sich und einsam haben will, fährt rüber nach Malchin und leiht sich bei »Wasserfreizeit Bremer« ein Kanu oder Hausboot aus, um sich sein eigenes Plätzchen Abgeschiedenheit auf rund 44 Quadratkilometern Wasser zu suchen. Wolfgang Bremer, Einheimischer und Bootsverleiher, weiß, was er an der Heimat und an seinem See hier hat. Zum einen könne man, wenn man denn wollen würde, von Malchin bis nach New York herüberschippern; zum anderen sei der Kummerower See nicht die Müritz, wo man vor Booten manchmal kaum noch Wasser sehe. Im Leben würde er nicht fortgehen von hier. Jedenfalls nicht freiwillig. Warum? »Na, aus dem Paradies kann man doch nur vertrieben werden!«

Der Text stammt aus dem Magazin "Tagesspiegel - Mecklenburgische Seenplatte". Für 6,50 Euro im Tagesspiegel-Shop oder am Kiosk.

Weitere Themen der Ausgabe: Auf einen Blick. Leute, Landschaften und die wichtigsten Fakten zur Mecklenburgischen Seenplatte; Schweizerisch. 125 Gipfelmeter reichen für den Titel "Schweiz"; Die Besten Schlösser und Burgen des Nordens; Mit dem Rad. Sechs Radtouren durch die Region; Im Land der großen Seen. Paddling, Radfahren, Kuchenessen - Ein perfekter Tag an der Müritz; Action! Wasserski und Paragliding auf den Großseen; Plötze, Barsch und Ukelei. Mit den Kindern zum Angeln; Malchow. Wo eine Brücke Dreh- und Angelpunkt ist; Nationalpark. Die Buchenwälder bei Serrahn sind Teil des Unexco-Weltnaturerbes; Die Besten Touren mit dem Hausboot auf den Großseen; Mit dem Kanu ins Kino. Auf dem Kultur- und Naturtrip an den Mecklenburgischen Kleinseen; Pilze sammeln deluxe. Ein Experte hilft finden und ein Sternekoch macht daraus leckeres Essen. Die Besten Campingplätze, die man auch mit dem Kanu erreicht. Essen & Trinken. Die Top Ten der Mecklenburgischen Seenplatte; Freizeit & Kultur. Ausflugsziele und Termine 2016; Übernachten. Unsere Empfehlungen für eine gute Unterkunft

Judka Strittmatter

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