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Brandenburg: CulturCongreßCentrum: Heute wird in Brandenburg/Havel das neue Theater übergben

Nicht, dass Thomas Höft besonders abergläubisch wäre, aber umgezogen ist er dann doch: In dem Zimmer, das seine vier Vorgänger seit 1994 stets mit einem gekündigten Intendanten-Vertrag in der Tasche verließen, mochte sich der neue künstlerische Leiter des Theaters in Brandenburg an der Havel nicht einrichten. Jetzt sitzt er eine Tür weiter und ist bester Dinge.

Nicht, dass Thomas Höft besonders abergläubisch wäre, aber umgezogen ist er dann doch: In dem Zimmer, das seine vier Vorgänger seit 1994 stets mit einem gekündigten Intendanten-Vertrag in der Tasche verließen, mochte sich der neue künstlerische Leiter des Theaters in Brandenburg an der Havel nicht einrichten. Jetzt sitzt er eine Tür weiter und ist bester Dinge. Heute Nachmittag wird ihm Brandenburgs Bürgermeister Helmut Schliesing (SPD) feierlich den Schlüssel für das neue CulturCongreßCentrum überreichen. Dann steht einer blühenden Theaterlandschaft in der ehemaligen Stahlstadt nichts mehr im Wege, davon ist Höft überzeugt.

So eine Prognose hätte vor zwölf Monaten noch keiner gewagt. Genau vor einem Jahr schien nämlich der letzte Vorhang im Trauerspiel um das Brandenburger Theater gefallen: Aufgrund von kontinuierlichen Subventionskürzungen hatte die Theater-GmbH Schulden in Höhe von drei Millionen Mark angehäuft - angesichts des 15-Millionen-Mark-Etats ein Haushaltsloch von ähnlichen Ausmaßen wie beim Defizitskandal der Deutschen Oper Berlin. Als die Summe im März 1999 überraschend bekannt wurde, wusste sich das Parlament der 80 000-Einwohner-Stadt keinen anderen Rat, als betriebsbedingt 120 der 206 Mitarbeiter zum Spielzeitende zu kündigen.

Die EU zahlte 13 Millionen

Den Theaterstandort ganz aufzugeben, kam allerdings nicht in Frage: Schließlich näherte sich der Neubau eines 400-Plätze-Multifunktionssaales seiner Vollendung. Und da steckten 13 Millionen Mark EU-Investitionsfördermittel drin, genau die Hälfte der Baukosten. Ohne eine Fortsetzung des Spielbetriebs wären die verloren gewesen. Außerdem mussten die Brandenburger auch irgendetwas in den "Theaterverbund" mit Frankfurt/Oder und Potsdam einbringen, den Kulturminister Steffen Reiche und später sein Nachfolger Wolfgang Hackel als ihr Lieblings-(Spar-)Projekt vorantrieben.

Also suchte man einen Intendanten - und fand Thomas Höft, einen gebürtigen Lüchow-Dannenberger, der als Brotberuf "Schriftsteller" angibt, für Komponisten wie Siegfried Matthus Libretti geschrieben und lange für den Alte-Musik-Star Nikolaus Harnoncourt gearbeitet hat. Der opernbegeisterte Mittdreißiger entpuppte sich nicht nur als Fan der Synergieffekte des Landes-Theaterverbunds, sondern auch als Befürworter der Brandenburger Kahlschlag-Sanierung im Personalbereich. "So hart es klingt, nur durch die Entlassungen wurde das Theater wieder lebensfähig", erklärt er dem überraschten Besucher. Vor seiner Zeit seien die staatlichen Zuschüsse fast komplett in die Personalausgaben geflossen. Inzwischen sind nur noch sechzig Prozent des Etats durch Personal gebunden. "Damit ist das Theater in der Lage, zeitgemäß zu arbeiten", findet Höft. Statt auf Repertoirebetrieb mit festangestellten Kräften setzt er auf eine Produktionsweise, bei der für jedes Projekt Künstler mit Zeitverträgen verpflichtet werden. Selbst die entlassenen Mitglieder von Chor und Ballett haben sich selbständig gemacht und lassen sich für die fünf Opern pro Saison engagieren. Das kostet das Theater einen Bruchteil dessen, was die Gagen der Festangestellten früher verschlangen.

Weil er mit dem vorhandenen Geld - rund acht Millionen von der Stadt, gut vier Millionen vom Land und weitere drei Millionen aus dem Gemeinde-Finanzausgleich - mehr Theater realisieren wollte, hatte Thomas Höft keine andere Wahl, als die sozialen Härten für die "freigesetzten" Künstler zu akzeptieren. "Wir produzieren unsere zehn Premieren pro Jahr jetzt nach dem Stagione-Prinzip, das heißt, die Inszenierungen sind nicht mehr über die ganze Saison zu sehen, sondern nur ein paar Mal direkt nach der Premiere. Dann wandern sie weiter in die Partnerstädte des Theaterverbunds."

Der Schwerpunkt der kommenden Spielzeit liegt auf dem Musiktheater, schließlich ist das 54 Musiker starke Theaterorchester die einzige Abteilung, die den Umstrukturierungsprozess unbeschadet überstanden hat. Man plant Händels "Xerxes" und Rossinis "Barbier von Sevilla" (eine Koproduktion mit der Kammeroper Schloss Rheinsberg), den "Zigeunerbaron", Glucks "Orpheus und Euridike" sowie ein Musical über Außerirdische, die ein Theater besetzen, zu dem Höft selbst den Text geschrieben hat. Und auch im Sprechtheater soll das Orchester zum Einsatz kommen: Hier will er Stücke mit ihrer originalen, oft vergessenen Schauspielmusik präsentieren.

Die einzige Unbekannte in Thomas Höfts Rechnung ist das Publikum. Denn die Theaterinteressieren sind in der von extremer Arbeitslosigkeit geplagten Stadt eindeutig in der Minderheit. Drei Mitarbeiter des Theaters fahren darum tagtäglich über Land, um in Schulen, Altersheimen und Vereinen neue Besucher zu werben. Dass Höfts Vorgänger auf eine Auslastung von 80 Prozent verweisen konnten, lag vor allem daran, dass seit dem Abriss des baufälligen großen Hauses 1997 nur die Studiobühne mit maximal 250 Plätzen bespielt wurde. 15 Millionen Mark Subventionen für 54 000 Zuschauer im Jahr - damit lag der Zuschuss-Bedarf des Brandenburger Theaters im gesamtdeutschen Vergleich in der Spitzengruppe.

"Liebe auf den zweiten Blick"

Das soll sich nun ab heute grundlegend ändern - wenn die Brandenburger ihren neuen Saal annehmen. Die lokale Presse sprach bereits von einer "Liebe auf den zweiten Blick", und tatsächlich ist die blasslila Fassadenfarbe des Gebäudes eher gewöhnungsbedürftig. Der Hinweis von Thomas Höft, der Architekt Bodo Fleischer sei Anthroposoph, räumt jegliche Zweifel aus: Tatsächlich, das Haus erinnert mit seinen asymmetrischen Fenstern und den "schrägen Ecken" durchaus an eine Waldorf-Schule. Einladend präsentiert sich das Hauptfoyer, eine großzügige Halle auf mehreren offenen Ebenen, dessen große Fensterfront den Blick auf den angrenzenden Stadtpark freigibt. Der Saal hingegen atmet eher den Charme einer Eisdiele der 80-er Jahre: Die leichte Bestuhlung musste sein, um problemlose Umbauten der "Veranstaltungslandschaft" für Messen, Kongresse oder auch Tanzveranstaltungen zu garantieren. Aber diese gigantischen Rundbogen-Spiegel mit ihren putzigen Pseudo-Fensterkreuzen!

Für diesen missglückten Versuch, der Multifunktionshalle einen Hauch von Festlichkeit zu verleihen, entschädigt ein Blick in den großzügigen Bühnenraum: Versenkbarer Orchestergraben, Drehscheibe, viel Lagerflächen für die Dekorationen - das alles sieht nach idealen Arbeitsbedingungen für die Künstler aus. Gerade laufen die Beleuchtungsproben für Marlows Stück "Dr. Faustus", das heute Abend im Anschluss an den Festakt Premiere hat. Ein mutiger Start in die neue Zeit der immerhin 183-jährigen Brandenburger Theatergeschichte. Worum es für das Haus an diesem Abend und in den nächsten Monaten nämlich geht, prangt auf der Programmvorschau: "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage."

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