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Brandenburg: Das Wasser sinkt – und jeder kann es riechen

Gestern Abend durften viele Prignitzer in ihre Häuser zurück. Nun plagen sie Gestank und Mücken

Von Claus-Dieter Steyer

Wittenberge. Die Deichläufer spüren den Rückgang des Wassers zuerst. Sie kontrollieren ununterbrochen, in Vier- bis Sechs-Stunden-Schichten, den Zustand der Dämme. Ihr besonderes Augenmerk gilt Sickerstellen und Anzeichen von Deichrissen, die trotz des gesunkenen Wasserstandes nach wie vor zu einem Dammbruch führen können. „Wir riechen inzwischen sogar das weniger gewordene Wasser", erzählt ein von Deichbauexperten eingewiesener Kontrolleur am „Bösen Ort" bei Wustrow in der Nähe von Wittenberge. „Denn an den Rändern der Brühe setzen sich Schadstoffe ab, die in der Sonne erbärmlich stinken." Doch er wolle sich nicht beschweren. „Je mehr Gestank, desto besser. Wir sind gerade hier über jeden Zentimeter weniger froh."

Der „Böse Ort" dürfte nach dem Hochwasser in keiner Chronik fehlen. Hier sahen die Fachleute die größte Gefahr eines Deichbruches, weil die Elbe im 90-Grad-Winkel auf den Damm prallt. In einer Hau-Ruck-Aktion hunderter Soldaten, Angehöriger des Technischen Hilfswerkes und vieler Einwohner wurden die Deiche mit Tausenden Sandsäcken verstärkt. Doch nicht nur am „Bösen Ort“ können die Menschen ein wenig aufatmen. Nach einer Woche des Kampfes gegen das Hochwasser ist die Gefahr von Überschwemmungen großer Flächen und der damit verbundenen Zerstörung von Häusern in den Elbdörfern der Prignitz bedeutend kleiner geworden.

Der Pegel lag gestern Nachmittag bei 6,50 Meter – weit unter der beim letzten Winterhochwasser im Jahre 1988 gemessenen 8,84 Meter. Am Abend hob der örtliche Krisenstab die Evakuierung von 38 Orten auf. Ab 18 Uhr durften die Einwohner wieder in ihre Häuser zurückkehren. Etwa 3000 Menschen waren am Donnerstag vergangener Woche vorsorglich evakuiert worden. Bereits am gestrigen Vormittag hatten sie Passierscheine erhalten, mit denen sie kurzzeitig ihre Wohnungen aufsuchen konnten. Ortsfremde Personen wies die Polizei schon an den Zufahrtsstraßen zurück. Diebstähle sollten dadurch von vornherein verhindert werden – jeder Einwohner sollte sein Haus so vorfinden, wie er es verlassen hatte. Den bestialischen Gestank allerdings werden sowohl die Bewohner an der Elbe als auch die des zur Rettung der Prignitz überschwemmten Havellandes noch eine ganze Weile ertragen müssen. Erst in einigen Wochen rechnen Wasserfachleute wieder mit einem normalen Zustand.

So lange hält auch die jetzt schon fast unerträgliche Mückenplage an. „Vor zwölf Tagen hatten wir den Starkregen, nun sind die Stechmücken da", erklärte Professor Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamtes. „Jede Pfütze und jedes durch den Damm gesickerte Wasser ist ein kleines Mückenbiotop." Gesundheitliche Gefahren hielten sich allerdings in Grenzen. Zum Schutz vor den nur in der Nacht aktiven Tieren rät Freude zu Mückennetzen an den Fenstern oder über dem Bett und zu Insektenschutzmitteln. „Die Mücken werden nicht nur durch Licht angelockt, sondern reagieren auf Kohlendioxid in der ausgeatmeten Luft sowie auf die vom Menschen ausgehende Wärme und Feuchtigkeit."

Der Wissenschaftler rechnet auch mit dem Auftreten der gefährlichen Kriebelmücken, die sich an fließenden Gewässern entwickeln. Sie seien extrem unangenehm, weil sie die Haut aufrapseln und zu Blutergüssen führen könnten. „Da hilft nur Wegrennen", meint Freude. Im vergangenen Jahr hatten Kriebelmücken im Freistaat Sachsen mehrere Kühe getötet.

Die Elbe selbst wird sich nach Freudes Meinung vergleichsweise schnell wieder der Wasserqualität vor der Flut annähern. „Jeder ordentliche Fluss braucht mal ein Hochwasser. Das wirkt am Boden wie ein Besen und schafft alle abgelagerten Schadstoffe weg", sagt der Umweltfachmann. „Das haben wir auch an der Oder vor fünf Jahren gespürt. Da stellten wir hinterher sogar zwei Fischarten fest, die schon als ausgestorben galten.“

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