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Brandenburg: Demonstration für Toleranz: Das wahre Gesicht von Cottbus zeigen

Nach den rechtsextremistischen Vorfällen zu Jahresbeginn sind am Sonntag in Cottbus 10.000 Menschen gegen rechte Gewalt und für ein tolerantes Zusammenleben auf die Straße gegangen.

Nach den rechtsextremistischen Vorfällen zu Jahresbeginn sind am Sonntag in Cottbus 10.000 Menschen gegen rechte Gewalt und für ein tolerantes Zusammenleben auf die Straße gegangen. Die Polizei sprach von der größten Demonstration in der Lausitz-Stadt seit der Wende. Endlos schien gestern der Demonstrationszug von der Oberkirche bis zum etwa einen Kilometer entfernten Standort der 1938 zerstörten Synagoge zu sein. Politiker und Pfarrer, die zu dieser Manifestation gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit aufgerufen hatten, zeigten sich völlig überrascht vom großen Echo auf den erst am Donnerstag veröffentlichten Demo-Aufruf. Ministerpräsident Manfred Stolpe reagierte erleichtert, dass so viele "Menschen das wahre Gesicht von Cottbus zeigen wollten". Das gebe Mut für die weitere Bekämpfung der Rechten.

Der Weg von der Oberkirche zur Gedenktafel für die Synagoge war bewusst gewählt worden. Eine bislang noch immer nicht ermittelte Gruppe hatte am Neujahrsmorgen ein Ehepaar jüdischer Herkunft vor dessen Haus massiv bedroht. "Kommt raus, ihr Schweine, wir schlagen Euch tot", hatten die Täter gebrüllt. Ein Polizeibeamter, der die spätere Anzeige aufnahm, bot dann dem Rentnerpaar "Schutzhaft" an. Inzwischen soll sich der Beamte für diesen Gestapo-Begriff entschuldigt haben. Zwei Tage später zogen vier Neonazis prügelnd durch die Stadt. Ein Libanese, ein Ukrainer und mehrere Deutsche erlitten Verletzungen. Diese Vorfälle veranlassten die evangelische Kirche zum Aufruf zu einem Mahngottesdienst und einer anschließenden Manifestation unter dem Motto "Wir wehren uns!"

Superintendent Rolf Wischnath, Vorsitzender des landesweiten Aktionsbündnisses gegen Rechtsextremismus, äußerte Zweifel an der Wirkung von Mahngottesdiensten und Demonstrationen. Aber er argumentierte auch mit harten Worten. Die ausgekohlte Lausitz sei nicht der "braune Arsch der Republik" und der rote Brandenburger Adler mutiere nicht zum "häßlichen braunen Entlein". Das müsse endlich klar gesagt werden. So wie in den ersten Tagen des Jahres dürfe es nicht weitergehen. Auf fünf Punkte sollten sich die Menschen einigen: 1. Einmischen und sich selbst gegen die rechte Gefahr verantwortlich fühlen, 2. Selbstbeherrschung im Umgang mit Juden, Behinderten, Fremden und Benachteiligten üben, 3. Rechtsextremen Tätern und deren Helfershelfern mit gesellschaftlicher Verachtung begegnen, 4. Ein Klima gegenseitiger Verlässlichkeit und Ermunterung im Familien- und Freundeskreis und anderswo schaffen, 5. Nicht mehr zu den Rechten gehen.

Während sich Stolpe, Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt (CDU) und der Landrat des Spree-Neiße-Kreises, Dieter Friese (SPD), vor allem Sorge um den Ruf des Landes, der Stadt und der Lausitz machten, rückte Pfarrer Matthias Blume im Mahngottesdienst in der Oberkirche andere Gedanken in den Vordergrund: "Die Würde von Menschen ist verletzt worden. Die Menschlichkeit des Lebens steht auf dem Spiel." Deshalb müsse das Motto lauten: "Ändert Euch!" Es gebe "unter uns" noch starke Alltagsfremdenfeindlichkeit und viel Alltagsrassismus. Deshalb müsse überall Alltagscourage Einzug halten. Ausdrücklich richtete der Pfarrer sein Wort "Ändert Euch" auch an Skinheads und Neonazis. Falls es doch nicht fruchte, müsse die Szene verstehen, dass für sie in der Gesellschaft kein Platz sei. Das Beispiel eines Handwerksmeisters aus der Region, der einen guten Mitarbeiter wegen dessen brauner Gesinnung entlassen habe, solle Schule machen.

Welche Sorgen sich die Cottbuser Stadtverwaltung um das Image macht, verdeutlichte Oberbürgermeister Kleinschmidt. 950 ausländische Studenten lernten an der Brandenburgischen Technischen Universität. Das sei ein Fünftel aller Kommilitonen. "Sie sollen sich bei uns wohl fühlen und als Botschafter von Cottbus und Brandenburg in aller Welt wirken", sagte er.

Stolpe kündigte an, auf Bundesebene weiter für eine Verschärfung des Strafrechtes zu wirken. Nazi-Gewalttäter müssten schneller in Haft genommen und strenger bestraft werden. Auf politischer Ebene dürfe das Thema Rechtsextremismus kein Anlass mehr zu Streitereien geben, meinte Stolpe. Kurz und bündig formulierte Martina Münch von der Bürgerinitiative "Cottbuser Aufbruch" ihre Forderung: "Ein Aufstand der Anständigen und Zuständigen muss her!"

Die Notwendigkeit zeigte sich noch am Abend zuvor: In Potsdam schlugen Unbekannte auf eine Schülerin ein. Möglicher Anlass: Die 14-jährige ist dunkelhäutig.

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