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Brandenburg: „Dennis wurde immer weniger“

Angelika B. hat ihren toten Sohn jahrelang in der Tiefkühltruhe versteckt Dass sie ihn absichtlich hat verhungern lassen, bestreitet sie jetzt im Prozess

Von Sandra Dassler

Cottbus – Quälend lang verharrt die Kamera auf dem Gesicht von Angelika B. Quälend langsam reagiert die 44-Jährige auf die Fragen, die nach Erklärungen für das Unvorstellbare suchen: Wie kann eine Mutter zusehen, wie ihr Sohn bis auf die Knochen abmagert und stirbt? Wie kann sie dann die Leiche des Jungen in einer Tiefkühltruhe verstecken, die sie in der Küche Tag für Tag vor Augen hat? Wie können der Vater und die Verwandten jahrelang der Mutter glauben, dass Dennis im Krankenhaus ist? Ohne den Jungen einmal zu besuchen?

Der Dokumentarfilm „Der Fall Dennis“ kann auch keine Antworten auf diese Fragen geben. Trotzdem hat ihn das Cottbuser Landgericht gestern zu Beginn des zweiten Verhandlungstages des Prozesses gegen Angelika und ihren Mann Falk B. zeigen lassen. Der Anwalt der Angeklagten hatte die Filmvorführung beantragt, weil sich seine Mandantin dann angeblich besser zum Tatvorwurf äußern könne. Die Staatsanwaltschaft wirft Angelika und Falk B. – wie berichtet – Totschlag durch Unterlassen und Misshandlung Schutzbefohlener vor.

Zumindest teilweise konnte man die gestrigen Aussagen der Angeklagten vor Gericht als Schuldeingeständnis werten. So gab Angelika B. nach mehreren Nachfragen zu, dass sie etwa „ein halbes Jahr“ vor dem Tod des Jungen durchaus bemerkt habe, dass er „immer weniger wurde“. Zweimal habe sie die Hose von Dennis an den Beinen enger nähen lassen, erzählte sie. Nur der Bauch des Kindes, der sei immer mehr angeschwollen.

Warum sie nicht mit dem Jungen zum Arzt ging, konnte Angelika B. nur mit ihrer angeblichen Krankheit – einer Art Klaustrophobie – erklären. Am 20. Dezember 2001 habe Dennis plötzlich zu zittern begonnen. Sie habe ihn ins Bett gelegt und ihm Apfeltee aufgewärmt, weil er sagte, dass er durstig sei. Als sie mit dem Tee zurückkam, sei er tot gewesen. In Panik habe sie das Kind zunächst im Bettkasten und später in der Tiefkühltruhe versteckt.

Alle anderen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stritten die Eheleute gestern ab. Niemals habe Dennis Schläge bekommen, nie sei er mit dem Bademantelgürtel ans Bett gefesselt worden. Vor allem der Ehemann Falk B. konnte sich entsprechende Äußerungen, die er bei den Vernehmungen der Polizei und vor dem Haftrichter gemacht hatte, plötzlich nicht mehr erklären. So hatte der 38-Jährige ausgesagt, dass seine Frau den 1995 geborenen Dennis sehr viel schlechter behandelt habe als die anderen acht Kinder, die zu diesem Zeitpunkt in der Familie lebten. Im Gerichtssaal war davon keine Rede mehr. Falk B. entschuldigte sich aber ausdrücklich bei seiner Frau, weil er sie „so viel alleine ließ, um mit Freunden zu saufen“. Er hatte sich bei der polizeilichen Vernehmung als „abhängig von seiner Frau“ bezeichnet. Sein Verhalten vor Gericht – immer wieder schaute der unbeholfen wirkende Mann liebevoll oder ängstlich zu der neben ihm sitzenden Angelika B.– ließ dies glaubwürdig erscheinen.

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft, die davon ausgeht, dass Dennis bereits im Frühsommer 2001 starb, behauptete Angelika B. gestern erneut, der 20. Dezember 2001 sei der Todestag des Jungen gewesen. Zum Beweis soll am nächsten Verhandlungstag erneut ein Film dienen – ein Video, das zu ihrem 40. Geburtstag im Juni 2001 gedreht wurde. Darauf ist Dennis angeblich noch „ganz vergnügt“ zu sehen.

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