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Brandenburg: Der Minister: Keine Welle! Der Bürgermeister: Weggucken.Die Polizisten: Opfer anketten

Rechtsradikale Gewalt hat 1996 erneut Brandenburg überrollt - die Behörden übten sich oft in Verharmlosung, die Bevölkerung blieb meist ungerührt VON FRANK JANSENEin übles Jahr für Brandenburg.Ein Toter, zahlreiche Verletzte, darunter ein Brite, der wahrscheinlich für den Rest seines Lebens gelähmt sein wird - am Ende von 1996 steht eine der härtesten Bilanzen rechtsradikaler Gewalt seit der Wende.

Von Frank Jansen

Rechtsradikale Gewalt hat 1996 erneut Brandenburg überrollt - die Behörden übten sich oft in Verharmlosung, die Bevölkerung blieb meist ungerührt VON FRANK JANSEN

Ein übles Jahr für Brandenburg.Ein Toter, zahlreiche Verletzte, darunter ein Brite, der wahrscheinlich für den Rest seines Lebens gelähmt sein wird - am Ende von 1996 steht eine der härtesten Bilanzen rechtsradikaler Gewalt seit der Wende.Trotz des Verbots mehrerer brauner Organisationen nach den Massenkrawallen von 1990 bis 1992 konnten die Machenschaften von Skins und Neonazis in Brandenburg nicht dauerhaft eingedämmt werden.Zum Jahreswechsel sehen sich Landesregierung, Parlamente, Ämter, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Antifaschisten mit mindestens drei Fragen konfrontiert: Warum sind die Rechtsradikalen nicht zu stoppen? Wann wird die zweite Gewaltwelle abebben? Wie kann verhindert werden, daß eine dritte, vierte, fünfte folgen? Von Mitte Januar bis Weihnachten sind 1996 unzählige Meldungen über mutmaßliche oder tatsächlich rechtsradikale Straftaten eingegangen.Es begann in diesem Jahr mit dem Mordversuch eines 19jährigen in Flecken Zechlin, der am 15.Januar mit seinem Wagen eine Türkin überfahren wollte, und es endete mit dem Angriff auf einen Pakistani in Fürstenwalde am Abend des 25.Dezember.Der Asiate wollte zwei Jugendlichen keine Zigaretten geben, da wurde er derart zusammengeschlagen, daß im Krankenhaus schwere Gesichtsverletzungen und Prellungen behandelt werden mußten. Neben der Häufung von gewaltsamen Übergriffen erschreckt vor allem die Brutalität.Der Tod von Sven Beuter in Brandenburg/Havel bleibt neben dem Überfall auf die Briten in Mahlow als besonders abstoßendes Beispiel in Erinnerung.Am Abend des 15.Februar wurde der schmächtige, leicht behinderte Punk von einem Skinhead buchstäblich zum Torso getrampelt.Selbst der Chefchirurg des städtischen Klinikums, ein erfahrener, abgehärteter Mann, konnte noch acht Monate nach Einlieferung und fünftägigem Todeskampf von Sven Beuter sein Entsetzen nicht verbergen.Doch die Gewaltexzesse lassen offenbar viele Brandenburger kalt.Fragt man nach einem Angriff Einheimische in der Umgebung des Tatorts, sind ausweichende oder sogar zustimmende Antworten die Regel.Nach dem Überfall auf Dönerbuden in Fürstenwalde Ende Juli und Hennigsdorf Anfang August hatten alle vom Tagesspiegel befragten Nachbarn oder Passanten nichts gesehen und gehört.Stattdessen wurde "den Ausländern" vorgehalten, sie nähmen "den Deutschen" Arbeit weg.Häufigkeit und ungebrochene Kontinuität einer solchen Haltung legen die Vermutung nahe, auch sieben Jahre nach der Wende mangele es Teilen der Bevölkerung schlicht an Zivilisation. Die Reaktionen von Landesregierung, Justiz und Polizei machten einen eher ambivalenten Eindruck.Vertuschen, Herunterreden, bisweilen aber auch Engagement und Suche nach unkonventionellen Strategien kennzeichnen das Verhalten der Behörden.Innenminister Alwin Ziel hielt verbissen daran fest, von einer Gewaltwelle könne keine Rede sein - und führte damit einen absurden Streit um Begrifflichkeiten, während rechte Schläger fast jede Woche ein neues Opfer fanden.Der gewaltsame Tod von Sven Beuter wurde von Staatsanwaltschaft und Polizeipräsidium in Potsdam nur kurz und dann auch als unpolitisches Delikt gemeldet.Erst acht Monate nach der Tat wurde der wahre Hintergrund der Tat offiziell bekanntgegeben, in einer kleinen Prozeßvorschau des Landgerichts Potsdam.Die Polizei in Brandenburg/Havel räumte dann ein, sofort nach dem Angriff gewußt zu haben, worum es sich handelte.Aber die Pressearbeit werde in Potsdam gemacht... Ein weiteres Beispiel: Der Überfall auf einen Dönerstand in Fürstenwalde Ende Juli.Etwa zwei Dutzend Skinheads skandieren "Ausländer raus", schlagen den Dönerverkäufer zusammen, demolieren die Imbißbude.Doch das Polizeipräsidium Frankfurt (Oder) spricht von einer "Schlägerei zwischen mehreren Jugendlichen" - obwohl bereits der für politische Delikte zuständige Staatsschutz ermittelt.Die Staatsanwaltschaft behauptet zunächst, eine politisch motivierte Tat sei "definitiv auszuschließen".Als sich die Presse der Sache annimmt und rasch herausfindet, daß die Randale am Dönerstand nur der vorläufig letzte Vorfall in einer Kette von Pöbeleien und Überfällen darstellt, übernimmt die politische Abteilung der Frankfurter Staatsanwaltschaft die Ermittlungen.Die Begründung: "Weil der Fall in den Medien überörtliche Bedeutung erlangt hat." Fürstenwalde scheint auch symptomatisch zu sein für den Mangel an Sensibilität mancher Ordnungshüter im Umgang mit den Opfern rechter Gewalt.Neben zehn Skins werden in jener Julinacht auch vier Araber festgenommen, darunter der von den Glatzen traktierte Dönerverkäufer.Trotz seiner Schmerzen wird er auf der Wache stundenlang an ein Heizungsrohr gefesselt, die anderen drei sitzen an der Wand, einen Arm an eiserne Ringe gekettet.Die Staatsanwaltschaft ermittelt schließlich gegen vier Polizisten wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung, doch die Verfahren werden eingestellt.Wann sich an den Zuständen in der Fürstenwalder Wache etwas ändern könnte, bleibt ungewiß. Die Notwendigkeit engagierten Einschreitens gegen den braunen Mob erkennt bei Polizei und Justiz offenbar nur eine Minderheit.Doch ihr Wort hat Gewicht.Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg widerspricht Ende Juli öffentlich den Verlautbarungen des Innenministeriums, das anhand seiner Statistiken noch den Rückgang rechter Gewalt behauptet.Rautenberg bittet sogar die Antifa-Szene um punktuelle Zusammenarbeit."Der Kampf gegen den gewalttätigen Rechtsextremismus ist ein patriotische Pflicht", sagt der Generalstaatsanwalt und wirbt für ein Bündnis "vom stramm Konservativen bis zum autonomen Spektrum".Die Angesprochenen reagieren jedoch eher negativ.Der CDU ist dieser unkonventionelle Generalstaatsanwalt suspekt, die Antifas verweisen auf staatliche Repression, der sie trotz und auch gerade wegen ihres Engagements gegen Rechtsextremisten ausgesetzt seien.Derweil nimmt der Neonazi-Verein "Die Nationalen" Rautenbergs Äußerungen zum Anlaß, in einer seiner Zeitungen gegen den Generalstaatsanwalt zu hetzen. Neben Rautenberg hat der Richter Klaus Przybilla Zeichen gesetzt.Unter seinem Vorsitz verhängte das Potsdamer Landgericht im Herbst harte Strafen gegen rechte Gewalttäter.Der Skinhead Sascha L.wurde wegen der Tötung von Sven Beuter zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, die Angreifer von Mahlow, Sandro R.und Mario P., erhielten fünf beziehungsweise acht Jahre.Przybilla scheute sich weder, in den Prozessen die meist wenig engagierten Behörden zu tadeln - Mahlows Bürgermeister Werner la Haine mußte sich wegen seiner stur-bürokratischen Passivität vom Gericht herbe Kritik gefallen lassen - noch die Bevölkerung zu ermahnen und einen "lauten Aufschrei gegen ausländerfeindliche Straftaten im Land Brandenburg" zu fordern.Gerade das Beispiel Mahlow hatte gezeigt, wie rechte Gewalt in einem desinteressierten bis wohlwollenden Umfeld über Jahre hinweg gedeihen kann.Der Ort am Südrand von Berlin wurde international zum häßlichen Symbol für Fremdenfeindlichkeit in Brandenburg.Stärker noch als Fürstenwalde oder Trebbin, wo Skins Anfang Oktober italienische Bauarbeiter zusammenschlugen und kurz darauf eine Pizzeria verwüsteten. Mahlow ist indes auch ein Modellfall für die zweifelhafte Aussagekraft offizieller Statistiken sowie der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes."Es gibt keinen Anlaß, uns mit der Szene bevorzugt zu beschäftigen", hieß es nach dem Angriff auf die drei Briten.Da war schon bekannt, daß Ausländer seit Jahren in Mahlow gejagt werden und sich nicht mehr zum Bahnhof trauen, weil sich dort die rechte Szene trifft.Der Überfall auf die drei Briten machte wie auch der Angriff auf die Dönerbude in Fürstenwalde deutlich, daß der jeweils einen bekannt gewordenen Straftat unzählige Vorfälle vorangegangen sind - die von den Opfern aus Angst oder Resignation angesichts polizeilicher Ineffizienz nicht angezeigt wurden.Inwieweit der Verfassungsschutz diese Entwicklung überblickt hat, ist unklar.Hat man sich zu sehr auf organisierte Gruppierungen konzentriert und nach den zahlreichen Verboten das weiter existierende braune Potential nicht mehr ausreichend im Blick gehabt? Oder durfte nicht sein, was nach Ansicht des Innnenministers nicht sein konnte: Das Fortbestehen rechter Strukturen - organisiert ("Die Nationalen"), verdeckt (Kameradschaften als Nachfolger verbotener Gruppen), informell (Kameradschaften, Cliquen) - laut Alwin Ziel hat ja "der organisierte Rechtsextremismus heute in Brandenburg kein öffentliches Forum mehr"? Eine zweite Fehleinschätzung leistete sich der Innenminister mit einer Bemerkung bei der Vorstellung des Lageberichts zur Sicherheitslage Mitte Oktober.Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, so Ziel, "daß sich die organisierten Rechtsextremisten, die vor allem Propagandadelikte begehen, mit den meist planlos handelnden Schlägern zusammentun." Abgesehen davon, daß der Innenminister überraschend die "organisierten Rechtsextremisten" wiederauferstehen ließ, ließ seine Äußerung auf Unkenntnis der wahren Lage schließen.Nicht nur in der Fürstenwalder Szene sind seit langem Berliner Neonazis aktiv.Nach dem Überfall auf den Dönerstand übten Mitglieder des Vereins "Die Nationalen" und der ihr nahestehenden Kameradschaft "Beusselkiez" vor den Fürstenwalder Skinheads Manöverkritik.Der Tenor: Araber sollten verschont bleiben, da sie potentielle Verbündete im Kampf gegen den Zionismus seien.Weiß der Verfassungsschutz davon etwa nichts? Oder hält der Innenminister solche Erkenntnisse, denen sich weitere aus anderen Teilen Brandenburgs mühelos hinzufügen ließen, lieber unter der Decke? Ein Ausblick auf 1997 hat zwangsläufig eine eher pessimistische Note.Die Verhamrlosung des Innenministers, die Passivität des Mahlower Bürgermeisters, die demütigende Behandlung ausländischer Opfer durch Fürstenwalder Polizisten - ob sich da was ändern wird, ist fraglich.Die Hoffnung auf wirksamen Widerstand gegen rechts richtet sich wie im ablaufenden Jahr eher auf das unermüdliche Engagement der Antifa-Gruppen und einiger Rechtsanwälte sowie das entschlossene Auftreten einzelner Polizeichefs, Staatsanwälte und Richter.Doch selbst wenn sich diese sprunghaft vermehren würden, an den strukturellen Bedingungen für das Fortwirken rechtsradikaler Umtriebe - Stichworte Arbeitslosigkeit, Kontinuität rassistischer Denkschablonen zweier Diktaturen - würde sich erstmal wenig ändern.Die potentiellen Opfer rechter Gewalt können sich im Moment auf wenig mehr als die abschreckende Wirkung harter Gerichtsurteile verlassen.Kaum Anlaß, in Brandenburg nicht ein weiteres übles Jahr zu befürchten.

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