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Brandenburg: Der Süden zieht nicht mehr

Die Störche kommen früher zurück, andere Zugvögel bleiben im Winter hier – der Klimawandel ändert die Lebensräume der Tiere

Alle Vögel sind zwar noch nicht da, aber viel mehr als zu dieser Jahreszeit üblich. Die ersten jungen Waldkäuze sind flügge. Amseln, Drosseln, Goldammern und Stare singen in Brandenburg schon seit Wochen. Anfang Februar sichteten Ornithologen erste Singdrosseln, Heidelerchen und Hausrotschwänze, die normalerweise erst Anfang März aus ihren Winterquartieren zurückkehren. Auch die ersten Störche sind zurück. „Wir haben sogar Dutzende Bachstelzen beobachtet, die gar nicht erst in ihr Überwinterungsquartier geflogen sind“, berichtet Torsten Langgemach von der Staatlichen Vogelschutzwarte des Landesumweltamtes Brandenburg.

Mit einem Klimamittel von 3,6 Grad Celsius fiel der vergangene Winter (Dezember bis Februar) in Berlin-Dahlem gegenüber der Normalperiode 1961-1990 um 3,1 Grad zu warm aus. Er gehört damit nach Angaben des Instituts für Meteorologie der FU Berlin zu den wärmsten Wintern der letzten 100 Jahre. Im vergangenen Jahr war es sogar noch wärmer. Was auf den ersten Blick nicht weiter problematisch erscheint, entwickelt bei genauerer Untersuchung dramatische Konsequenzen. Das Landesumweltamt hatte vor kurzem Norbert Schäffer von der britischen „Royal Society for the Protection of Birds“ (RSPB) gebeten, die aktuellen Modellrechnungen für die kommenden 100 Jahre zu erläutern. Ergebnis: Mit der weiter zu erwartenden Klimaveränderung wird sich der Lebensraum vieler Tier- und Vogelarten weit nach Norden verschieben. Wobei es mehr Verlierer als Gewinner geben werde.

Schön exotisch mag es zwar erscheinen, wenn sich der mediterrane Bienenfresser in den kommenden 100 Jahren auch in Deutschland ausbreiten dürfte. Oder wenn das Rothuhn 500 Jahre nach seinem Aussterben wieder Brutvogel in Deutschland wird, wenn Zwergohreule und Blaumerle bei uns heimisch werden. Doch soll gerade der in Ostdeutschland gehegte und gepflegte Weißstorch aus der Region ganz verschwinden. Sollten die Modelle der Ornithologen zutreffen, wird er in Deutschland nur noch ganz im Südosten anzutreffen sein. Und der Kranich verschwinde sogar gänzlich aus Deutschland.

Norbert Schäffer hat Karten über Karten: Krickente, Mittelsäger, Schreiadler, Trauerseeschwalbe – alle weg aus Deutschland. Meist verschieben sich die Gebiete der Population nach Nordosten und in höhere Lagen. Skandinavien und das Nordwestliche Russland werden für die Vögel klimatisch attraktiver. Bis zu 500 Kilometer könne die Nordverschiebung betragen. Gleichzeitig könnten die Verbreitungsgebiete um ein Fünftel schrumpfen.

Die Vögel stehen als die am besten untersuchte Tierart mit diesem Befund überdies nur Pate für die Veränderungen bei allen Tierarten. Auch hier gibt es drastische Zahlen: Es bestehe die Gefahr, dass durch den Klimawandel bis 2050 etwa 15 bis 37 Prozent aller Arten (Pflanzen und Tiere) durch die Erwärmung ganz vom Globus verschwinden werden. Über eine Million Arten sind nach einer Studie von Chris D. Thomas und Kollegen vom Aussterben bedroht.

Die Prognosen für die Vogelwelt, die nun im „Climatic Atlas of European Breeding Birds“ nachzulesen sind, beruhen auf dem moderaten sogenannten „B2-Szenario“ der aktuellen Klimamodelle. Das setzt eine Begrenzung der Erwärmung durch umfassenden Klimaschutz auf zwei Grade voraus. Alles was darüber geht, wird nach Ansicht der Klimaforscher weitaus extremere Konsequenzen für das Leben auf der Erde haben. Und auch wenn Schäffer zu bedenken gibt, dass derzeit in den Medien viele Ergebnisse der Klimaforschung überinterpretiert werden und vieles nur Spekulation bleibt, so ist er von der Dimension der möglichen Veränderungen doch höchst alarmiert. Zur Erinnerung: Das Zwei-Grad-Ziel ist nach Auffassung von Klima-Experten nur bei umfassender, globaler Senkung der Kohlendioxid-Emissionen zu erreichen. Allein in den Jahren 2005/2006 aber war der Ausstoß des Treibhausgases weltweit so hoch wie nie zuvor.

Für die zu erwartenden Verschiebungen der Lebensräume der Tierarten fordert nun auch Schäffer, eine Ausweitung und bessere Vernetzung der Schutzgebiete. Es gehe um „Durchdringbarkeit“, damit die Arten auf ihrem Weg nach Norden auch vorankommen können. Eine Erkenntnis, die in ihrer Bedeutung für das Leben auf der Erde auch von den Forschern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) immer wieder hervorgehoben wird.

Ein Paradies für viele der heute bei uns heimischen Vogelarten dürfte in 100 Jahren voraussichtlich Island werden. Vorausgesetzt dass dort ausreichend Bäume wachsen. Und an diesem Punkt bleiben die Annahmen der Vogelforscher vage. Denn letztlich dürften die Vögel in ihren neuen Lebensräumen nicht so schnell die von ihnen benötigte Biosphäre vorfinden, wie sie vor der Erwärmung flüchten. Was also wirklich passieren wird, weiß niemand genau. „Wir wissen nur, dass sich da draußen etwas abspielt“, sagt Schäffer. „Und es kommt noch mehr auf uns zu.“

Jan Kixmüller

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