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Brandenburg: Der Tiger im Panorama-Turm

Radpartie 5 zum Hollywood der Stummfilmzeit in Woltersdorf. 1921 baute Regisseur Joe May dort den Palast von Eschnapur auf. Er drehte eine exotische Tragödie, zu der Hagenbeck die Raubtiere lieferte. Heute ist das alles in einer ungewöhnlichen Ausstellung zu sehen

Die „Deutsche Lichtspielzeitung“ war begeistert. „ Das Schloss von Eschnapur mit seinen gewaltigen Türmen, verschwiegenen Gärten und zauberischen Hallen ist ein Kunstwerk, das wohl das Beste darstellt, was im märkischen Sand erbaut ist“, schrieb sie am 29. Oktober 1921 und lobte „die Illusion von Indien, diese glaubwürdige Exotik“.

Ein solcher Aufwand wurde für den Film „Das indische Grabmal“ getrieben. Publikumsliebling Conrad Veidt spielte den Fürsten von Eschnapur, der von seiner geliebten Frau Savitri (Erna Morena) mit dem englischen Offizier Mac Allan (Paul Richter) betrogen wurde und nun aus Rache ein prächtiges Grabmal errichten ließ, in das die untreue Fürstin lebend eingemauert werden sollte.

In nur fünf Monaten war es dem Regisseur Joe May gelungen, das Drehbuch von Fritz Lang und Thea von Harbou auf die Leinwand zu bringen. Gedreht wurde nicht in Hollywood, sondern in Woltersdorf vor den Toren Berlins. Am Ufer des Kalksees entstanden in Originalgröße der Palast des Maharadschas, die Chinesenstadt und ein Dschungeldorf.

Noch heute sind Spuren des Maharadscha-Palastes erhalten. Wer vom Ostufer des Kalksees einen schmalen Weg hinaufradelt, entdeckt sie am Hang in der Nähe des Rüdersdorfer Krankenhauses. Im Garten eines Einfamilienhauses stehen ein Tempel-Pavillon und einige Säulen. Sie stützten einst Teile des Palastes. Auch ein Stück „Palastmauer“, aus nur vier Zentimeter dickem Beton, ist noch sehen: Stumme Zeugen einst hektischer Betriebsamkeit. Denn während der Dreharbeiten wimmelte es auf dem Gelände wie in einem Ameisenhaufen.

Hunderte von Statisten dirigierte Joe May hoch zu Ross sitzend. Chinesen und Afrikaner kamen aus ganz Deutschland, mussten aber durch eingefärbte Einheimische verstärkt werden. Zirkus Sarrasani lieferte die Elefanten, Hagenbecks Tierpark die Tiger und das Berliner Aquarium zwei Krokodile.

Seit 1912 entstanden in Woltersdorf Stummfilme, darunter auch Harry Piels reißerische Abenteuerfilme. Piel drehte bevorzugt in den Canyons der Rüdersdorfer Kalksteinbrüche, Joe May zog zum benachbarten Kalksee und trieb den Aufwand dort am weitesten: Er kam 1919 und baute eine eigene Filmstadt. Die „Herrin der Welt“ und „Der Tiger von Eschnapur“ gehören zu seinen großen Publikumserfolgen. Aber dann kam die große Weltwirtschaftskrise, Joe May ging pleite und musste 1932 verkaufen. Ein Jahr später flüchtete der Nichtarier, wie viele seiner Filmkollegen ins amerikanische Exil. 1954 starb er im „echten“ Hollywood.

Dass Reststücke seines Palastes bis heute existieren, hat Kenner der Filmgeschichte anfangs überrascht. Schließlich stand das Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Kalksees. „Daran ist der verrückte Professor schuld“, erzählt eine ältere Anwohnerin. „Der kaufte den ganzen Kram und ließ den Palast 1932 in Einzelteilen mit Schiffen auf die andere Seeseite schaffen, wo er ihn auf seinem Grundstück wieder aufbauen ließ.“

Der „verrückte Professor“ war der Hofportraitmaler Arthur Fischer. Er malte bis zum Ende der Kaiserzeit fast jeden, der Rang und Namen hatte – aber auch das, was den Leuten gefiel – Aktbilder. Er konnte gar nicht so schnell malen, wie die Aufträge eingingen. Zwei fest angestellte Kunstmaler halfen, die Produktion „echter Fischers“ zu erhöhen.

Der „Fischerpalast“ wurde 1963 abgerissen, aber in Vorgärten finden sich noch Kulissenteile aus der Zeit, als Woltersdorf noch Hollywood war. Eindrucksvoll wird die Filmgeschichte auch in einer Ausstellung im Aussichtsturm auf dem Gipfel des Kranichberges lebendig gehalten: Dort ist der Tiger von Eschnapur noch immer auf dem Sprung.

Vor dem Aufstieg können sich Radler mit dem klaren Wasser der Liebesquelle erfrischen über deren erotisierende Wirkung die Meinungen auseinander gehen. Die Wirtin des gleichnamigen Restaurants meint allerdings: „Einen Versuch ist es wert.“

Obwohl in Woltersdorf heute keine Filme mehr gedreht werden, hat sich etwas Exotik erhalten. In der Köpenicker Straße 42 hat der „Herr der Nandus und Emus“, wie Max Törper genannt wird, seinen Garten in einen Zoo verwandelt. Dicht an dicht stehen hier Volieren mit tropischen Vögeln. Und vor gut acht Jahren kaufte sich der rüstige Rentner dann einen ersten Straußenvogel, dem weitere folgten. Denn „alleine“, sagt Max Törper, fühlen die sich nicht wohl“.

Carl-Peter Steinmann

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