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Brandenburg: Der Widersacher

Von Sandra Dassler Teupitz. Seit zwei Jahren weiß Karsten Kuhl, was es heißt, einen „dicken Hals“ zu bekommen.

Von Sandra Dassler

Teupitz. Seit zwei Jahren weiß Karsten Kuhl, was es heißt, einen „dicken Hals“ zu bekommen. Im April 2000 hatte Innenminister Jörg Schönbohm erstmals seine Vorstellungen von der Gemeindegebietsreform verkündet. Und Karsten Kuhl ist der oberste Knopf vom Hemd gesprungen. Vor Wut über seinen christdemokratischen Parteifreund.

Den Bürgermeister der kleinen Stadt Teupitz im Süden von Berlin packt heute noch Empörung, wenn er daran denkt: „Ich habe mich gefragt, ob ich wieder in der DDR bin, wo die Genossen jedesmal, wenn Moskau es so wollte, alle zuvor abgegebenen Versprechen ignorierten.“ Auch Schönbohm hatte im Wahlkampf etwas anderes versprochen. Immer wieder zitiert Kuhl aus dem 99er Wahlprogramm: „Die CDU vertritt die Auffassung, dass gewachsene Gemeinden in ihrem historischen Bestand zu erhalten sind. Den Gemeinden ist größtmögliche politische Kompetenz und Zuständigkeit einzuräumen.“

Wahlbetrug nennt Kuhl das. Den DDR-Vergleich hat er noch zugespitzt: Schönbohms Gebietsreform sei „wie die Zwangskollektivierung“. Der Innenminister war empört. Wegen der Zwangskollektivierung hätten seine Verwandten einst die DDR verlassen. Karsten Kuhl hat nur mit den Schultern gezuckt: „Die einen sind gegangen und andere sind geblieben.“ Von Schönbohm lässt er sich kein schlechtes Gewissen wegen seiner DDR-Vergangenheit einreden. Kuhl war zwar nicht gerade ein Widerstandskämpfer, aber schon zu Honeckers Zeiten aufmüpfig. Hat sich mit dem SED-Bürgermeister angelegt, weil der und die Teupitzer Schuldirektorin die Erstklässler am Kindertag zum „Panzer angucken“ schickte. Als der gleiche Bürgermeister 1990 – nun als Parteiloser – kandidierte, gab Kuhl seine Stelle an der Berliner Charité auf. Und wurde gewählt.

Inzwischen ist aus dem Vollzeitjob ein Ehrenamt geworden. Im Hauptberuf ist Kuhl wieder Zahnarzt – der Beruf schenkt ihm ein strahlendes Lächeln. Seine sportliche Figur lässt ihn im Anzug ebenso gut aussehen wie in Jeans. Dunkle Locken, die sich von den ersten grauen Fäden noch unbeeindruckt zeigen, umrahmen ein sympathisches Gesicht. Doch Kuhl lacht nicht oft. Er kämpft lieber. Und kann richtig ungemütlich werden. Immer wieder widersetzte er sich beispielsweise den Anweisungen „von oben“, sprich: aus Potsdam. So dachte er nicht daran, wie andere Kommunen eine überdimensionierte Abwasseranlage mit zu finanzieren. Teupitz ging einen eigenen Weg. Auch bei der Diskussion um ein Mädchen, das in einen behindertengerechten Hort wechseln wollte, weil die Kita in Teupitz nicht auf Rollstuhlfahrer eingestellt war, blieb Kuhl hart. Die Presse schrieb über den „unmenschlichen Bürgermeister“, selbst der Petitionsausschuss des Landtages sprach ihm eine Missbilligung aus. Erfolglos. Ein Gutmensch ist dieser Zahnarzt nicht. Und dass ihm „Missbrauch der kommunalen Selbstverwaltung“ vorgeworfen wurde, hat ihn in seinem Kampf gegen die Gemeindegebietsreform nur angestachelt.

„Es gibt keine sachlichen Gründe für die Reform“, argumentiert er, „außer, dass man sich nordrhein-westfälischen Strukturen annähert und die aufmüpfigen, weil parteilosen ehrenamtlichen Bürgermeister der Kommunen ausschalten kann.“ Kuhl hat widerständige Städte und Dörfer in einem Gemeindetag zusammengeschlossen und beim Landesverfassungsgericht Beschwerde dagegen eingelegt, dass den Gemeinden die Flächennutzungspläne entzogen und auf die Ämter übertragen werden sollen. Das Gericht hat kürzlich der Beschwerde stattgegeben – ein Triumph.

Dass die CDU ein Parteiausschlussverfahren gegen den 40-Jährigen anstrengt, lässt ihn kalt. Nein, er habe keine Ahnung, wie der Stand sei. Aber er denke nicht daran, die CDU zu verlassen, nur weil er darauf aufmerksam macht, dass Schönbohm „nicht zu seinen Wahlversprechen steht“ und mit seiner Kehrtwende in Sachen Eigenständigkeit der Dörfer die „Glaubwürdigkeit der Partei aufs Spiel setze“. Für ihn sei die kommunale Selbstverwaltung ein Grundpfeiler der Demokratie und Schönbohms Reform der Versuch, diese Demokratie auszuhöhlen. Und wieder zieht Kuhl die Parallele: „In der DDR nannten sie das heuchlerisch den demokratischen Zentralismus. Und sind jämmerlich gescheitert. Aber einen kleinen Unterschied zu heute gibt es ja wohl. Sonst hätte 1989 wirklich niemand auf die Straße gehen müssen.“

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