zum Hauptinhalt

Brandenburg: Die Kinder müssen leiden

Thorsten Metzner

Dieses Schicksal lässt nicht kalt: Wenn kein Wunder geschieht, wird am Mittwoch eine Familie aus Rathenow nach Kamerun abgeschoben, die allein stehende Mutter Awa Marie Ndemu mit ihren vier Kindern. Sie sind in der Havelstadt nicht anonym: Kevin (13), Marvelle (15), Frank (17) und der in Deutschland geborene vierjährige Stefan werden kurz vor Ostern aus ihren Schulklassen, ihren Sportvereinen, aus dem Kindergarten gerissen. Dass sie ihre neue Heimat verlassen und in ein längst fremdes Land zwangsausgesiedelt werden sollen, hat der Christdemokrat, Christ und Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm entschieden. Er hat sich über die Voten der Härtefall-Kommission, der Integrationsbeauftragten Karin Weiss hinweggesetzt und einen Sturm der Entrüstung bis in die Reihen der Union hinein ausgelöst. Typisch Schönbohm? Wollte der durch den CDU-Machtkampf geschwächte Ex-Parteichef und altbekannte konservative Missionar gegen Multi-Kulti ein Exempel statuieren?

So muss es aussehen. Diese Unbarmherzigkeit aber passt nicht zum Schönbohm der letzten Zeit, der weniger ideologisch als früher agiert. Der selbst in Zuwanderungsfragen, wo er bekanntlich ein Prinzipienmensch ist, fast immer dem Votum der Härtefall-Kommission folgte. Mag sein, dass er es sich auch bei der Rathenower Familie nicht leicht gemacht hat. Mag sein, dass nach dem Kleingedruckten des Ausländerrechtes die Abschiebung formal korrekt wäre. Aber das Leben ist manchmal komplizierter als es deutsche Paragraphen fassen könnten. Vielleicht hat Mutter Ndemu gegenüber Behörden nicht mit offenen Karten gespielt. Nur: Was haben vier Brandenburger Kinder verbrochen, dass man sie mit der Verbannung nach Afrika ihrer Bildung, ja ihrer Zukunft beraubt?

Selbst wenn man die menschliche Tragik einmal beiseite lässt: Auch staatspolitisch ist es eine Fehlentscheidung. Es gibt seit der Liberalisierung des Zuwanderungsrechtes nun Ermessensspielräume. Und es liegt im ureigenen Interesse dieses kinderarmen Landes, vier Kinder in Brandenburg zu halten, in deren Ausbildung man bereits investiert hat. Es wären künftige Studenten und Facharbeiter, die man braucht. Es geht um eine Familie, wie man sich Zuwanderer wünscht: Integrationsbereit und integriert. Gegen ihre Abschiebung haben 150 Mitschüler in der Neonazi-Hochburg Rathenow demonstriert.

Aber, der Fall liegt nicht in Schönbohms alleiniger Verantwortung. Er ist Innenminister einer Regierung, deren Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) bei jeder Gelegenheit verkündet, dass „kein Kind“ aufgegeben werden darf. An diesem Anspruch muss sich Platzeck, der bei früheren Kirchenasyl-Härtefällen von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machte, auch jetzt messen lassen. Die Rathenower Familie Ndemu darf nicht abgeschoben werden.

-

Zur Startseite